Liebe Leserinnen und Leser,

drei DAX-Konzerne, drei völlig unterschiedliche Ausgangspositionen – und doch verbindet sie heute dasselbe: Sie stehen an Scheidelinien, die über ihre Zukunft entscheiden könnten. Während Bayer nach Jahren des Abstiegs plötzlich wieder Hoffnung schöpft, kämpft Rheinmetall mit den Folgen diplomatischer Entspannung. Und die Deutsche Bank? Sie nutzt die Gunst der Stunde für einen Kapitalmarkt-Schachzug. Was auf den ersten Blick wie drei getrennte Geschichten aussieht, offenbart bei genauerem Hinsehen ein gemeinsames Muster: Die Märkte belohnen nicht mehr nur Wachstum – sie fordern Antworten auf fundamentale Unsicherheiten.

Bayer: Der Comeback-Versuch nach zwei Jahren Durststrecke

Als Bayer am Sonntag die Studienergebnisse zu Asundexian veröffentlichte, reagierten die Anleger mit einer Begeisterung, die man dem Konzern lange nicht mehr zugetraut hätte. Die Aktie schoss am Montag um zeitweise über 12 Prozent nach oben und markierte mit knapp 31 Euro ein Jahreshoch. Zum Vergleich: Im April hatte das Papier noch bei unter 18,40 Euro notiert – ein Tief seit 2003.

Der Grund für die Euphorie: Asundexian, ein Gerinnungshemmer zur Schlaganfallprävention, hat in einer Phase-III-Studie seine primären Wirksamkeits- und Sicherheitsziele erreicht. Das Medikament reduzierte das Schlaganfallrisiko bei Patienten mit vorherigem Schlaganfall deutlich, ohne die Rate schwerer Blutungen zu erhöhen. Für Bayer ist das mehr als nur ein klinischer Erfolg – es ist ein Rettungsanker.

Denn vor genau zwei Jahren musste der Konzern eine andere Asundexian-Studie bei Vorhofflimmern-Patienten vorzeitig abbrechen. Damals hatte Bayer dem Wirkstoff noch einen Jahresspitzenumsatz von über 5 Milliarden Euro zugetraut. Nach dem Scheitern schien diese Vision begraben. Nun kehrt Asundexian zurück – allerdings in einer anderen Indikation und mit deutlich moderateren Erwartungen.

Goldman Sachs taxiert das globale Marktpotenzial auf 3 Milliarden Euro, JPMorgan sieht Blockbuster-Potenzial von über 1 Milliarde Euro. Beide Schätzungen liegen weit unter den ursprünglichen Hoffnungen, aber für einen Konzern, dessen Pharma-Flaggschiff Xarelto unter Patentdruck leidet, wäre auch das ein Erfolg. Die FDA hat Asundexian bereits den Fast-Track-Status erteilt, was eine beschleunigte Zulassung ermöglichen könnte – möglicherweise schon Ende 2026.

Die Frage bleibt: Reicht ein Medikament mit 3 Milliarden Euro Potenzial, um die strukturellen Probleme bei Bayer zu lösen? Die Antwort dürfte davon abhängen, welche weiteren Kandidaten die Pipeline noch bereithält.

Rheinmetall: Wenn Friedenshoffnung zum Kursrisiko wird

Während Bayer feiert, erleben die Rüstungsaktien einen der schmerzhaftsten Tage seit Monaten. Rheinmetall verlor am Montag zeitweise fast 6 Prozent und rutschte auf den tiefsten Stand seit April. Vom Rekordhoch Anfang Oktober bei über 2.000 Euro hat die Aktie mittlerweile rund 29 Prozent eingebüßt. Noch härter traf es die MDAX-Werte Renk und Hensoldt, die zwischen 5 und 7 Prozent verloren.

Der Auslöser: Die USA und die Ukraine haben sich in Genf auf einen überarbeiteten Friedensplan geeinigt. Beide Seiten kündigten an, die Arbeit an dem Vorschlag "in den kommenden Tagen" fortzusetzen und sich dabei eng mit europäischen Partnern abzustimmen. US-Außenminister Marco Rubio sprach von "signifikanten Fortschritten", auch wenn Details weiterhin fehlen.

Für Anleger ist die Botschaft eindeutig: Je näher ein Waffenstillstand rückt, desto unsicherer wird die Nachfrage nach Rüstungsgütern. Das ist rational – aber auch kurzsichtig. Denn die europäische Wiederbewaffnung ist kein Ukraine-Phänomen, sondern eine strategische Neuausrichtung, die auf Jahre angelegt ist. Rheinmetall-Chef Armin Papperger hat das Umsatzziel für 2030 erst kürzlich auf 50 Milliarden Euro angehoben – von 9,8 Milliarden im Jahr 2024.

Die Analysten von Barclays betonen, dass die Fundamentaldaten robust bleiben und die Ergebnisschätzungen weiter steigen. JPMorgan sieht die aktuelle Korrektur sogar als Einstiegschance für langfristig orientierte Investoren. Das Argument: Rheinmetalls vertikale Integration und seine Disziplin beim Kapazitätsausbau machen den Konzern zum Gewinner der europäischen Aufrüstung – unabhängig davon, wann genau der Ukraine-Krieg endet.

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Trotzdem zeigt die Kursreaktion, wie nervös der Markt auf jede diplomatische Entwicklung reagiert. Wer hier investiert, muss mit Volatilität leben können.

Deutsche Bank: Kapitalstärkung in ruhigem Fahrwasser

Während Bayer und Rheinmetall im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, vollzieht die Deutsche Bank einen stillen, aber bedeutsamen Schritt: Sie plant die Ausgabe von Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) im Benchmark-Volumen mit einem ersten Kündigungstermin im Oktober 2034. Die Stückelung beträgt 200.000 Euro, die initialen Preisgespräche liegen bei 7,125 Prozent.

AT1-Anleihen sind ein Finanzinstrument, das Banken nutzen, um ihre regulatorischen Kapitalquoten zu stärken. Sie zählen zum zusätzlichen Kernkapital und können im Krisenfall in Eigenkapital umgewandelt oder abgeschrieben werden – ein Mechanismus, der sie für Investoren riskanter macht als herkömmliche Anleihen, aber für Banken attraktiv, weil sie die Verschuldungsquote verbessern.

Für die Deutsche Bank kommt die Emission zu einem günstigen Zeitpunkt. Die Aktie notiert mit knapp 30 Euro deutlich über den Tiefständen der vergangenen Jahre, und die Ertragslage hat sich stabilisiert. Die Emission zeigt, dass die Bank ihre Kapitalstruktur proaktiv optimiert – ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche.

Interessant ist auch der Zeitpunkt: Mit der wachsenden Zinssenkungsfantasie in den USA – Fed-Vertreter John Williams sprach von "Raum für weitere Anpassungen" – könnten die Refinanzierungskosten in den kommenden Monaten sinken. Die Deutsche Bank sichert sich also jetzt Kapital zu Konditionen, die bald schon teurer werden könnten.

Was diese drei Geschichten verbindet

Auf den ersten Blick haben Bayer, Rheinmetall und die Deutsche Bank wenig gemeinsam. Doch ihre heutigen Entwicklungen illustrieren eine zentrale Marktdynamik: Anleger bewerten Unternehmen nicht mehr isoliert nach Quartalszahlen, sondern nach ihrer Fähigkeit, auf externe Schocks zu reagieren.

Bayer zeigt, dass selbst jahrelange Talfahrten durch einen einzigen klinischen Erfolg gestoppt werden können – zumindest vorübergehend. Rheinmetall demonstriert, wie schnell geopolitische Hoffnungen zu Kursrisiken werden, selbst wenn die langfristigen Fundamentaldaten intakt bleiben. Und die Deutsche Bank nutzt ein Zeitfenster, um ihre Bilanz zu stärken, bevor sich die Rahmenbedingungen ändern.

Die Lehre: In volatilen Märkten gewinnen nicht die Unternehmen mit den besten Geschichten, sondern jene mit den flexibelsten Strategien. Bayer muss nun beweisen, dass Asundexian mehr ist als ein einmaliger Lichtblick. Rheinmetall braucht Geduld von seinen Aktionären, bis die europäische Aufrüstung Fahrt aufnimmt. Und die Deutsche Bank setzt darauf, dass ihre Kapitalstärke ihr in den kommenden Quartalen Spielraum verschafft.

Am Dienstag wird der ifo-Geschäftsklimaindex zeigen, wie es um die deutsche Wirtschaft bestellt ist – ein weiterer Gradmesser dafür, ob die heutige Erholung an den Märkten Bestand hat oder nur eine Atempause war.

Ihr Andreas Sommer