Die Halbjahresbilanz 2022 fiel so schlecht aus wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Und dabei war es eigentlich egal, ob das Geld in Aktien oder Festverzinslichen investiert war: Prozentual deutlich zweistellige Verluste waren in den wichtigsten Aktienindices wie auch selbst bei Bundesanleihen mit mittleren Laufzeiten zu verkraften. Die fünfjährige Bundesobligation zum Beispiel – bislang eher ein Hort der Sicherheit – erbrachte einen Wertverlust von nahezu zehn Prozent. Das haben wir schon lange nicht mehr gesehen.

Grund waren, neben der lange bekannten inflationären Entwicklung, die massiv auf das Bremspedal tretende amerikanische Notenbank, der dann die EZB mit dem ersten – wohl zu späten – Zinsschritt folgte. Besonders in den letzten Tagen des Halbjahres kam es förmlich zu Ausverkaufstendenzen, weil die Abnehmer von Anleihen in den Käuferstreik traten.

Im vergangenen Monat dann endlich die erwartete Erholung: Trotz weiterer Zinserhöhungen durch die FED und entsprechenden Ankündigungen von der EZB Notenbankchefin Christine Lagarde zogen Renten- und damit dann auch die Aktienkurse deutlich an. Wahrscheinlich war die Stimmung vorher so schlecht, dass schon kleine Käufe ausreichten, um die Kurse nach oben zu treiben.

Zum einen hilft hier die menschliche Eigenschaft des Gewöhnungseffektes. Inzwischen haben wir uns wohl fast schon an die Kriegsbilder in der Ukraine, an eine hohe Inflation und an die Aussicht an einen bevorstehenden Winter im dicken Pullover vor dem heimischen Ofen gewöhnt. Und da sorgen bessere als erwartete Berichte der Unternehmensergebnisse wie zum Beispiel bei Amazon, LVMH oder selbst bei der von der Gasknappheit gebeutelten BASF für deutliche Kursavancen. Frei nach dem kölschen Motto: Et hätt noch viel schlimmer werden können!

Die gestiegenen Renditen haben dann auch die Käufer von Anleihen aus der Reserve gelockt, die davon ausgehen, dass das Abgleiten in die Rezession dazu führen wird, dass die Notenbanken ihre Zinserhöhungen vielleicht nicht bis zum Ende durchziehen werden.

Die Frage ist nun, wie lange diese Erholung anhält. Beispiele wie Fresenius Medical Care zeigen, dass es auch Gewinnenttäuschungen geben kann, die dann mit deutlichen Kurskorrekturen abgestraft werden. Dies führt zu Ausreißern nach oben wie nach unten – sprich: Hohe Volatilität im Markt. Die Gefahr, dass Russland vollends den Gashahn zudreht, bleibt nach wie vor virulent. Das haben die Märkte in Europa wahrscheinlich noch nicht ganz eingepreist. Das bedeutet für den Anleger weiterhin wachsam zu sein und vor allem auf Qualität zu achten. In der diesjährigen Baisse hat sich – und das ist für die erfahrenen Börsianer eher gut so – deutlich die Spreu vom Weizen getrennt. Überbordende Kurs-Gewinn-Verhältnisse und exzessive Kurssteigerungen bei Spekulationstiteln haben sich größtenteils erledigt.

Die Leidensfähigkeit könnte in den nächsten Monaten noch einmal auf die Probe gestellt werden und zwischenzeitliche Kursrückgänge an den Nerven der Anlegenden zerren. Doch eines hat sich in den letzten Wochen gezeigt: der Mensch neigt zum linearen Denken und dazu, die Gegenwart in der Wahrnehmung deutlich zu übergewichten. So schreiben viele die heutige Situation für die nähere Zukunft fort und bleiben angesichts der derzeitigen Performanceberichte in einem Stimmungstief gefangen. Die Börse jedoch befasst sich immer mit der Zukunft und nimmt somit weit vor den Medien und der allgemeinen Stimmungslage eine Wende vorweg. Das gibt Hoffnung für das Jahr 2023 mit vielleicht deutlich höheren Aktienindices.

Es gilt also, weiter an Bord zu bleiben und die seismografischen Ausschläge an der Börse auszuhalten – der Mut dürfte auf mittlere Sicht mit guten Renditen entlohnt werden, allen Unkenrufen zum Trotz! 

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Aus dem Börse Express PDF vom 09.08. hier zum Download

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