Alte Rezepte, neue Krisen: Warum die Politik den Wandel verschläft
Alte Rezepte, neue Krisen: Warum die Politik den Wandel verschläft
Liebe Leserinnen und Leser,
während deutsche Politiker darüber debattieren, ob Autohersteller doch einfach günstigere E-Autos bauen sollten, zeigt sich in Asien ein anderes Bild: Saudi-Arabien baut mit deutscher Hilfe eine eigene Biotech-Industrie auf, und in der Ostsee entscheidet sich die Zukunft unserer Fischerei. Die Welt dreht sich weiter – nur die politischen Reflexe scheinen im letzten Jahrhundert steckengeblieben zu sein.
Der Standort-Exodus beschleunigt sich
Roger Peeters, bekannter Fondsmanager und scharfer Beobachter der deutschen Wirtschaft, zieht eine bittere Parallele zur Französischen Revolution. Wie einst Marie Antoinette mit ihrem angeblichen "Dann sollen sie doch Kuchen essen" die Not des Volkes verkannte, ignorieren heutige Politiker die fundamentalen Probleme des Industriestandorts Deutschland.
"Bietet doch einfach günstigere Modelle an!" – so tönt es aus der Politik in Richtung der Automobilindustrie. Als ob Unternehmen aus Jux und Tollerei teure Produkte herstellen würden. Die Realität? Eine einfache Produktionsverlagerung ins Ausland senkt vom ersten Tag an die Kosten signifikant. Energiepreise, Lohnnebenkosten, Steuerlast, Bürokratie – die Liste der Standortnachteile wird länger, nicht kürzer.
Peeters warnt eindringlich: Die Deindustrialisierung ist keine düstere Zukunftsvision mehr, sondern täglich beobachtbare Realität. Während die Politik über Symptome diskutiert, wandern die Ursachen ab – ins Ausland, wo bessere Rahmenbedingungen locken.
Saudi-Arabien: Der unerwartete Biotech-Player
Eine bemerkenswerte Entwicklung zeichnet sich in der Wüste ab: Das King Faisal Specialist Hospital in Riad eröffnet bis Ende 2025 die erste Produktionsanlage für Gen- und Zelltherapien in Saudi-Arabien. Was nach einer Randnotiz klingt, markiert tatsächlich einen Paradigmenwechsel.
Die Zahlen sprechen für sich: 2.400 Therapiedosen jährlich, Kosteneinsparungen von zwei Milliarden Dollar bis 2030, ein 5.000 Quadratmeter großer Hightech-Komplex mit 16 modularen Reinraum-Clustern. Hier entsteht nicht nur eine Produktionsstätte – Saudi-Arabien positioniert sich als ernstzunehmender Player im globalen Biotech-Markt.
Das Pikante daran: Während Europa über Regulierungen debattiert, schafft das Königreich Fakten. Mit deutscher Technologie, wohlgemerkt. Die Anlage erfüllt internationale GMP-Standards, nutzt KI für die Qualitätskontrolle und ist so konzipiert, dass sie mit neuen therapeutischen Technologien mitwachsen kann. Ein Lehrstück in Sachen strategischer Industriepolitik – während wir noch über die richtige Förderpolitik für E-Autos streiten.
Ostsee-Fischerei: Wenn Nachhaltigkeit auf Realität trifft
Die EU-Fischereiminister haben entschieden: Die Fangquoten für 2025 bleiben weitgehend unverändert, obwohl die Europäische Kommission drastische Kürzungen gefordert hatte. Beim westlichen Hering sollten die Fangmengen halbiert, beim westlichen Dorsch sogar um 84 Prozent gesenkt werden.
Doch die Politik beugte sich dem Druck der Realität. "Fischerei ist ein einzigartiges Kulturgut und ein Stück Heimat", argumentierte Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer. Die Entscheidung sei eine "Balance zwischen Schutz und Nutzung".
Umweltschützer laufen Sturm. Der Nabu spricht von "politischem Versagen", das weder ökologisch noch ökonomisch Sinn ergebe. Tatsächlich befinden sich die Ostsee-Bestände in einem kritischen Zustand – Klimawandel, Überfischung und andere Faktoren haben über Jahre hinweg Spuren hinterlassen. Die Entscheidung zeigt exemplarisch das Dilemma moderner Politik: Langfristige Nachhaltigkeit versus kurzfristige sozioökonomische Interessen.
Märkte im Aufwind – trotz allem
Während die Politik mit strukturellen Herausforderungen ringt, zeigen sich die Finanzmärkte erstaunlich robust. Die Allianz meldet für die ersten neun Monate 2025 ein Rekordergebnis bei ihren internationalen Versicherungsgeschäften. Die Sozialhilfequoten in Schweizer Städten bleiben trotz Wohnungsnot stabil. Und in der Biotech-Branche jagt eine Innovation die nächste – von Amphista Therapeutics' neuartigen Krebsmedikamenten bis zu PL BioScience's Fortschritten in der Zelltherapie.
Besonders bemerkenswert: Der Markt für Bio-Lebensmittel und -Gewürze explodiert förmlich. Laut MarketsandMarkets wird der globale Markt für Bio-Gewürze bis 2034 auf 4,3 Milliarden Dollar wachsen – ein Plus von 10,6 Prozent jährlich. Europa dominiert nach Asien-Pazifik als zweitgrößter Markt. Ein Trend, der zeigt: Verbraucher sind durchaus bereit, für Qualität und Nachhaltigkeit zu zahlen – wenn das Angebot stimmt.
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Apropos Märkte im Aufwind: Während deutsche Industrien um Wettbewerbsvorteile kämpfen, entstehen in der Tech- und Halbleiterbranche neue Wachstumsfelder, die vom globalen Chip-Boom profitieren. Wer sich intensiver mit diesem Megatrend beschäftigen will, findet im aktuellen Spezialreport zur sogenannten „neuen Nvidia“ spannende Einblicke in jene Technologie-Unternehmen, die von der weltweiten Neuordnung der Chip-Industrie profitieren könnten. Hier können Sie mehr erfahren.
Die kommende Woche: Weichenstellungen und Warnsignale
Der Blick nach vorn verspricht Spannung. Am Mittwoch veröffentlicht die EZB ihre neueste Inflationsprognose – ein kritischer Moment für die Zinspolitik. Zeitgleich startet in Las Vegas die Fintech-Konferenz Money20/20, wo sich zeigen wird, ob Europa im Rennen um die Finanzinnovationen noch mithalten kann.
Am Donnerstag folgen die US-Arbeitsmarktdaten. Sie werden zeigen, ob die amerikanische Wirtschaft ihren Vorsprung weiter ausbaut, während Europa mit Strukturproblemen kämpft. Und nicht zuletzt: Die Berichtssaison geht in die heiße Phase. Besonders die Zahlen der Automobilzulieferer werden Aufschluss darüber geben, wie tief die Krise der deutschen Schlüsselindustrie wirklich sitzt.
Die Lehre aus all dem? Während die Welt sich in atemberaubendem Tempo neu erfindet – von Saudi-Arabiens Biotech-Ambitionen bis zu Asiens Dominanz bei Bio-Lebensmitteln – verharrt die europäische Politik in alten Denkmustern. "Dann sollen sie doch billige Autos bauen" mag als Bonmot durchgehen. Als Wirtschaftsstrategie taugt es nicht. Die Geschichte lehrt uns: Wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, wird von ihr überrollt. Hoffen wir, dass es diesmal glimpflicher ausgeht als bei Marie Antoinette.
Herzliche Grüße und eine erkenntnisreiche Woche
Eduard Altmann








