Auf ähnliche Weise blicken Volkswirte auf die weltweiten Erfahrungen seit Pandemiebeginn und betrachten die allgemeinen Folgen einer Rezession in neuem Licht. Dabei wird dem Sparverhalten der Haushalte besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet. In einer kürzlich veröffentlichten Kurzstudie von Ökonomen der US-Notenbank (Fed) wird beispielsweise argumentiert, dass die überschüssigen Ersparnisse in den Vereinigten Staaten, die sich aus überdurchschnittlich hohen Sparquoten ergeben, bis zum Frühjahr 2023 weitgehend aufgebraucht gewesen sein dürften. Nach aktuellen Trends gehen sie auch davon aus, dass der verbleibende Bestand an überschüssigen Ersparnissen in anderen entwickelten Volkswirtschaften bis Ende 2023 aufgebraucht sein wird. Damit könnte eine wichtige Stütze der globalen Gesamtnachfrage wegfallen.

Die DWS ist sich da nicht ganz so sicher, findet die Analyse aber interessant. Wie der „Chart der Woche“ zeigt, ist der Rückgang der überschüssigen Ersparnisse in den USA sehr ungleichmäßig, wenn man die Bankeinlagen der privaten Haushalte auf verschiedenen Einkommensniveaus betrachtet. Ein Großteil des rückläufigen Sparaufkommens in den USA ist auf die Spitzenverdiener zurückzuführen, d.h. bei den oberen 20 Prozent der Haushaltseinkommen. Betuchte Haushalte haben in der Regel eine geringere marginale Konsumneigung und neigen eher dazu, den Konsum über die gesamte Lebensdauer der einzelnen Haushaltsmitglieder hinweg zu glätten. Sie neigen also dazu, nur langsam auf plötzliche Veränderungen im Vermögen oder Einkommen zu reagieren. Bei den weniger wohlhabenden und einkommensschwächeren Gruppen verhält es sich in der Regel umgekehrt. Wie der Chart zeigt, verfügen Haushalte der Mittelschicht und ärmere Haushalte der unteren Einkommensgruppen immer noch über recht deutliche Sparpolster. Gerade im Niedriglohnbereich wurden in letzter Zeit außerdem überdurchschnittliche Lohnzuwächse verzeichnet, was die angespannte Lage auf den US-Arbeitsmärkten widerspiegelt. Zusammen mit den verbleibenden Bankeinlagen sollte das helfen, einen etwaigen Abschwung – sofern er kommt – zumindest abzumildern.

Hinter all diesen Trends verbergen sich die zahlreichen Verwerfungen durch das Pandemiegeschehen, von Schließungen von Lokalen und Geschäften bis hin zu Unterbrechungen der Versorgungsketten. Wir alle können uns noch lebhaft daran erinnern, die aber für künftige Statistiker beim bloßen Betrachten der Daten nicht sofort ersichtlich sein werden. Dies deutet auf grundsätzlichere Probleme hin: Wie sind die jüngsten Daten zu interpretieren, um daraus Trendlinien zu extrapolieren? Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, gehen die Ökonomen der Fed bei ihren Schätzungen des Sparüberschusses implizit davon aus, dass die Haushalte sehr viel sparsamer sein werden, als es die Trends vor der Pandemie vermuten ließen. Dies entspricht der guten ökonometrischen Praxis der letzten Jahre, aber ob es für diese spezielle Fragestellung die richtigen Antworten liefert, bleibt abzuwarten.

Generell legt die Alltagspsychologie nahe, dass Haushalte, die mit finanzieller Unsicherheit konfrontiert sind, ihren Konsum im Falle eines Konjunkturabschwungs einschränken und ihre Ersparnisse aufstocken wollen. Diese wiederum werden dann wieder aufgelöst, wenn sich die Wirtschaft erholt und die Haushalte wieder Vertrauen fassen. Ob die Haushalte dazu in der Lage sind, hängt jedoch häufig entscheidend von den fiskal- und geldpolitischen Anstrengungen ab, den Weg zur Erholung zu ebnen. Solche Unterstützungen waren in der Vergangenheit selten so großzügig wie während der Pandemie. So faszinierend die ersten Studien auch sind, es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die langfristigen Auswirkungen vollständig beurteilt werden können. In der Zwischenzeit werden auch die Ökonomen der Fed wohl weiterhin Datenabhängig agieren, nicht zuletzt in Bezug auf das Sparverhalten der privaten Haushalte.

   

Aus dem Börse Express PDF vom 17.07.2023 

 

Screen 17072023

 

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