Viele Jahre lang sah es so aus, als gebe für Investoren nur eine Möglichkeit, ihr Aktienvermögen aussichtsreich anzulegen: Growth-Aktien, also vor allem US-amerikanische Technologiewerte schienen unbesiegbar. Die Wachstumsraten waren schier fantastisch und haben sowohl Indizes als auch Depots in ihrer positiven Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Selbst während der Hochphasen der Covid-19-Pandemie haben sich diese Unternehmen nicht von ihrem börslichen Wachstumspfad abbringen lassen.

Dieser gefühlt ewige Aufwärtstrend scheint jetzt vorbei. Seit gut einem halben Jahr stehen vor allem Technologiewerte nur noch am Rand und haben mit deutlichen Bewertungsabschlägen zu kämpfen. Investoren, die spät eingestiegen sind, verzeichnen somit Verluste mit dem Growth-orientierten Anlagestil. Dafür hat sich zeitgleich das Value Investing wieder in den Vordergrund gearbeitet.

Value Investing ist bekanntlich die Anlagestrategie, bei der Aktien ausgewählt werden, die unter ihrem inneren Wert gehandelt werden. Es versteht die Aktie in ihrer ursprünglichsten Funktion als verbrieften Anteil an einem Unternehmen, an dessen Kapital und Wachstum man langfristig teilhaben kann. Es geht nicht um das Verständnis als kurzzeitiges Spekulationsobjekt. Im Fokus der Value-Renaissance steht, dass Aktienkurse langfristig durch Fundamentaldaten bestimmt werden. Der Kapitalmarkt agiert nur kurzfristig nach dem Prinzip: Es wird gekauft, was begehrt ist. Langfristig gilt die Regel, in das zu investieren, was heute das Beste ist, nicht in das, was das Beste war. Value-Investoren suchen also aktiv nach Aktien, von denen sie glauben, dass der Aktienmarkt sie unterbewertet, und verwenden Finanzanalysen, folgen nicht der Herde und sind langfristige in Qualitätsunternehmen investiert.

Die Chancen für globale Value-Aktien waren selten so gut wie in diesem Jahr. Bis auf wenige Ausnahmen ist der Performance-Unterschied zwischen günstig bewerteten Value-Aktien und den deutlich teureren Technologieaktien mit hohen Wachstumsraten weiter zusammengeschrumpft. Es ist davon auszugehen, dass viele substanzstarke Titel durch die anstehende Konjunkturerholung (ob in diesem oder im kommenden Jahr) weiterhin gewinnen werden. Die starke Inflation und die Zinswende geben lang erwarteten Rückenwind, während die historische Durchschnittsbewertung für Value-Aktien eine deutliche Outperformance erwarten lässt. Und trotz guter absoluter Performance ist das Value-Segment günstiger geworden, da das Gewinnwachstum der Unternehmen die Kurssteigerungen überkompensiert hat. Zumal es im Kontext von Inflations- und Zinsanstieg fast unbemerkt kräftige Kursverluste bei den vermeintlich sicheren Rentenpapieren gegeben hat.

Beide Anlagestile haben ihre Daseinsberechtigung. Aber die Zeichen stehen zunächst weniger gut für eine schnelle Rückkehr von Growth-Werten, die das Wachstum von Value negativ beeinflussen könnten. Gerade die steigenden Zinsen machen das fremdfinanzierte Wachstum deutlich teurer und riskanter, und die noch immer hohen Bewertungen vieler Growth-Werte bringen die Gefahr einer erheblichen Downside mit sich – Investoren zahlen also gegebenenfalls zu viel für eingeschränkte Zukunftsaussichten in Kombination mit einem weiteren Crash-Risiko. Steigende Zinsen wirken sich auch auf den Abzinsungsfaktor aus. Das ist positiv für Value- und Dividendenwerte und negativ für Growth-Werte mit Verlusten oder geringen Gewinne in der Zukunft.

Investoren, die von der Renaissance des Value Investing profitieren wollen, sollten sich vor allem mit entsprechenden Fonds auseinandersetzen. Denn es geht ja darum, Aktien zu identifizieren, die vom Markt hinsichtlich positiver Fundamentaldaten und Cashflows unterbewertet werden. In Eigenregie einzelne Unternehmen zu analysieren und zu identifizieren, ist schwierig und riskant. Eine interessante Benchmark stellt der MSCI World Value Index dar, der große und mittlere Werte aus 23 entwickelten Märkten, die dem Value-Ansatz entsprechen, erfasst. Er hat in den vergangenen fünf Jahren knapp 7,5 Prozent zugelegt und liegt seit der ersten Erfassung 1974 in der Performance vor dem MSCI World (11,43 zu 10,87 Prozent).

Diesen und weitere Vermögensverwalter mit Meinungen und Anlagestrategien finden Sie auf www.v-check.de.

 

Aus dem Börse Express PDF vom 01.07. hier zum Download

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