Schlechte Nachrichten für Automobilzulieferer: Autobauer Mercedes-Benz will seine Wertschöpfungstiefe beim Bau von Elektroautos deutlich erhöhen und unter anderem die Antriebe ab 2024 komplett selbst produzieren. Gegenüber der Automobilwoche sagte Entwicklungschef Markus Schäfer Wir wollen das Gesamtsystem von Elektromotor, Batterie und Leistungselektronik möglichst gut beherrschen, ähnlich wie das beim Verbrennungsmotor der Fall ist. Dafür erhöhen wir die Wertschöpfungstiefe deutlich und wechseln von einem Fremdbezug auch auf die eigene Fertigung. Bisher kamen die elektrischen Antriebsstränge von externen Partnern. Bisher bezogen die Stuttgarter ihre E-Antriebe vor allem von ZF – der Zulieferer stellt das komplette Antriebsmodul für den EQC her. Die E-Motoren selbst stammen von Valeo Siemens eAutomotive.

Für Automobilzulieferer bedeutet das: Sie verlieren einen weiteren wichtigen, strategischen Auftrag. Der Strukturwandel der Autoindustrie trifft vor allem die etablierten Zulieferer hart – der Umbau hin zum batterieelektrischen Fahrzeug und die neue digitale Wertschöpfung machen die Produkte und Geschäftsmodelle tradierter Zulieferer überflüssig. Schon in den vergangenen Jahren hatten die großen Autobauer die Produktion von immer mehr Komponenten in die eigenen Werke zurückgeholt.

Weniger Teile, weniger Komplexität

Gerade beim E-Auto ist das auch gar kein Problem, sind Motoren und Antriebe doch weniger komplex und damit einfacher zu produzieren. Besteht ein konventioneller Verbrennungsmotor aus rund 2500 Teilen, so braucht es für einen Elektromotor nur noch etwa 200 Teile, heißt es beim Fraunhofer Institut für Produkttechnologie IPT. Das liege vor allem daran, dass bei Elektromotoren auf Getriebe, Katalysatoren und Partikelfilter sowie weitere Komponenten verzichten werden könne. Rein elektrische betriebene Fahrzeuge reduzieren also nicht nur die Komplexität des Antriebsstrangs, sondern auch die Wertschöpfungstiefe der Fahrzeughersteller und Zulieferer erheblich, so die Fraunhofer-Forscher.

Kritisch wird es da vor allem für Zulieferbetriebe, die sich auf die Produktion von Getriebe und Co. spezialisiert haben. Gerade für sie gelte, neben dem noch ertragreichen traditionellen Kerngeschäft neue Kompetenzen aufzubauen und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Unternehmen, die sich in diesem Spannungsfeld rechtzeitig als Technologieführer positionieren, haben gute Chancen, den langfristigen Erfolg zu sichern, glauben die Fraunhofer-Forscher.

Die Branchenführer der deutschen Autozulieferindustrie haben das bereits vor Jahren erkannt und treiben seither die Transformation voran. Heute buhlen Bosch, Continental oder ZF nicht mehr um Aufträge für Getriebe oder Turbolader, sondern für Softwaresysteme und Bordcomputer, Fahrerassistenzsysteme und elektrische Antriebsstränge. Die Konzerne gelten als stark genug, den Paradigmenwechsel der Verkehrswende zu überstehen.

Für KMU wird es schwer

Schwerer haben es da kleine und mittlere Hersteller von Getriebe und Antriebskomponenten. Für diese Unternehmen ist es ratsam, eine Nische zu besetzen, die weniger komplexen Strukturen in Geschwindigkeit umzusetzen und sich als Technologieführer zu positionieren, glaubt Philipp Obenland, Director im Bereich Consulting beim Beratungsunternehmen Deloitte. Auch die Konsolidierung mit anderen kleinen Zulieferern kann die eigene Position stärken. Gleiches gilt für das gezielte Sondieren nach strategischen Partnerschaften, um die Kräfte zu bündeln, sowie der Einstieg eines Finanzinvestors, da so neues Kapital für die Transformation zur Verfügung steht.

Denn es sind gerade die Hersteller klassische Komponenten wie Getriebe und Antriebsstrand, Partikelfilter und Katalysator, die sich auf signifikante Umsatzrückgänge im Kerngeschäft einstellen müssen, glaubt auch Andreas Schlosser, Partner der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Für sie heißt es: über den Tellerrand – auch über die Automobilindustrie – hinauszublicken. Zulieferer werden zunehmend versuchen, ihre Kompetenzen auch in wachstumsstärkere Felder zu transferieren und die eigene Zukunftsfähigkeit durch Transformation des Geschäfts und Ausrichtung auf Zukunftstrends im erweiterten Umfeld der Automobilindustrie sicherzustellen, fordert Schlosser.