Allerdings ist zu konstatieren, dass mit dem zweiten Blick die glänzende Oberfläche, die immer gerne nach außen zur Schau gestellt wird, mächtige Risse bekommen hat. Hinzu kommt, dass in einer Umfrage aus dem Jahr 2019 mehr als die Hälfte der Deutschen unzufrieden sind mit den Leistungen ihrer Regierungsvertreter. Dies ist ein Anstieg von ca. 27 Prozent gegenüber der gleichen Umfrage zwei Jahre zuvor. Wenn man etwas Ursachenforschung betreibt, so wird eine Art „Staatsversagen“ an folgenden Fehlentwicklungen festgemacht (die Auflistung ist nicht voll umfassend):

Da ist das Debakel um den neuen Flughafen in Berlin. Das heutige moderne Deutschland war nicht in der Lage innerhalb von zwei Jahrzehnten in seiner Hauptstadt einen Flughafen zu bauen. Der ursprünglich geplante Eröffnungstermin im Jahr 2007 wurde auf das Jahr 2012 und anschließend weitere Male verschoben, um endlich im Herbst 2020 eingeweiht zu werden. Die Baukosten hatten sich mit über acht Milliarden Euro mehr als vervierfacht. Dieses Beispiel des Flughafens in Berlin ist kein Einzelfall. Weitere systemische Probleme sind die Elbphilharmonie in Hamburg, der City-Tunnel in Dresden, Stuttgart 21, die Autobahn-Maut, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr usw.

Neue, sich abzeichnenden Probleme liegen beispielsweise im Brenner-Basistunnel. Während in Tirol (Österreich) und Südtirol (Italien) die Arbeiten für den ca. 65 km langen Tunnel schon sehr weit fortgeschritten sind, ist der Zugzulauf aus Deutschland noch nicht einmal ansatzweise geregelt bzw. geplant. Es lassen sich noch viele weitere Beispiele aufführen, die sowohl den zeitlichen Rahmen überschritten hatten als auch von der Budgetseite alles ursprünglich Geplante gesprengt hatten. So stiegen die Baukosten für die Elbphilharmonie von ursprünglich geplanten 77 Millionen Euro auf 866 Millionen Euro an. Stuttgart 21 war zu Baubeginn mit 2,4 Milliarden Euro geplant – gegenwärtig belaufen sich die Kosten auf ca. 10 Milliarden Euro, nach vorsichtigen Schätzungen.

Reputationsschaden.

Dieser bitteren Realität steht immer noch der Mythos vom Musterland Deutschland gegenüber. Es muss schon die Frage erlaubt sein, wie lange kann dieser Mythos noch aufrechterhalten werden? Denn der Reputationsschaden für Deutschland ist inzwischen immens und die Marke „Made in Germany“ könnte die ihr ursprünglich einmal zugedachte Bedeutung zurückerhalten.

Sieht man sich die Gremien an, die diese Großprojekte leiten, kann man feststellen, dass es nie an der Technik lag. Für die Probleme sorgten in erster Linie immer die politischen Aufsichtsgremien, die ohne Sachverstand agierten. So wurden beim BER aus politischen Gründen während der Bauplanung die Pläne geändert.

Dass es auch anders geht und große Bauprojekte pünktlich fertiggestellt werden können, zeigt uns die Schweiz. Der Gotthard-Basistunnel wurde unter schwierigen technischen Bedingungen im zeitlich festgelegten Rahmen fertig gestellt.

Das Geld wäre da ...

Die mangelhafte Umsetzung von Großprojekten ist nur ein Steinchen im Mosaik des Problems. Deutschland lebt heute von der Substanz vergangener Aufbauleistungen. Autobahn- und Eisenbahnbrücken sind sehr häufig in einem nicht mehr sanierungsfähigen Zustand. Zwar werden für die Projekte die Gelder zur Verfügung gestellt aber kaum umgesetzt. So ist DB Cargo nicht in der Lage einen etwas höheren Anteil des Gütertransports von der LKW-Seite zu übernehmen - was unter ökologischen Gesichtspunkten aber durchaus sinnvoll wäre.

Ein weiteres großes Problem in diesem Zusammenhang ist die Genehmigungspraxis. Ein Unternehmer erzählte mir neulich, dass er auf die Genehmigung eines Einkaufszentrums auf ausgewiesenen Gewerbeflächen und der Bereitstellung aller gewünschten Unterlagen über zwei Jahre warten musste. Aufgrund der zwischenzeitlich kräftig angestiegenen Kosten, hatte er das Projekt abgeblasen.

Doch wie lässt sich dies alles bewältigen? Ich denke die Bereitschaft zur Disruption muss massiv ansteigen! Die zunehmende und rasant verlaufende Digitalisierung verbunden mit einer weiter fortschreitenden Globalisierung bilden die Grundlage für unsere Zukunftsfähigkeit. Disruption, also technische und gesellschaftliche Umbrüche, hat es in der Vergangenheit schon immer gegeben. Erinnert sei an die erste industrielle Revolution des 18./19. Jahrhunderts mit der Einführung der Dampfmaschine, im frühen 20. Jahrhundert die Elektrifizierung und die Akkordarbeit, die zunehmende Automatisierung von Arbeitsprozessen durch Rechenmaschinen und jetzt die Digitalisierung, autonom arbeitende Maschinen und künstliche Intelligenz. Diese Entwicklungen waren immer mit gesellschaftlichen Anpassungsprozessen verbunden. Dies wird auch dieses Mal so sein.

Damit werden sich Berufsbilder verändern müssen um weiterhin als exportorientierte Nation auf dem Weltmarkt weiter bestehen zu können. Es sollten künftig die Chancen und nicht die Risiken im Vordergrund stehen. Als Negativbeispiel möchte ich unser Gesundheitswesen aufführen. Deutschland erlaubt es sich im Gesundheitswesen ein Kontrollsystem zu unterhalten, dass wirklich sehr beeindruckend ist. Ein riesiger Stab von Kontrolleuren behindern Ärzte und Krankenschwestern bei ihrer Arbeit am Patienten. Eine Krankenschwester ist heute überwiegend mit Protokollarbeiten beschäftigt. Die Patienten werden nur noch von einem sog. „Medizinischen Fachpersonal“ versorgt. Die Kosten im Gesundheitswesen explodieren und sind nahezu nicht mehr bezahlbar. Die gesetzlichen Krankenkassen tragen zusätzlich zu der überbordenden Kontrolle bei.

Mit anderen Worten: Der Staat traut seinen Bürgern nicht mehr! In anderen Bereichen, wie bspw. bei Banken, im Pharmabereich usw. sieht es ähnlich aus. In der Vermögensverwaltung werden zunehmend die Kunden und Berater durch gesetzliche Vorgaben dazu gezwungen, nur solche Produkte einzusetzen, die von staatlicher Seite „vorgegeben und genehmigt“ worden sind. Die Entscheidung, welches Finanzprodukt für den Anleger das Richtige bzw. Optimale ist, wird durch staatliche Vorgaben gelenkt. Diese Entwicklung erinnert mich sehr stark an die Renaissance des Sozialismus früherer Jahre.

Damit stellt sich zum Abschluss meiner Ausführungen schon die Frage, wollen die Menschen überhaupt die Veränderungen? Die soziale Hängematte fängt alle auf. Die staatliche Willkür um das Thema Corona wird stillschweigend ertragen. Die Spaltung der Bevölkerung wird klaglos hingenommen. Mit der Einführung einer Digitalsteuer besteht noch weniger der Zwang sich den neuen Herausforderungen zu stellen und Veränderungen mutig entgegenzutreten. Die bevorstehende Wahl zum neuen Bundestag wird an diesem Zustand nicht viel verändern. Die Selbstreflektion bei unseren gewählten Volksvertretern fehlt gänzlich und es ist einfach nur bequem den erreichten „Scheinwohlstand“ fortzuführen, auch wenn er relativ gesehen massiv abnimmt.

In diesem Sinne: „Nichts für ungut!“

Aus dem Börse Express-PDF vom 07. September - hier zum kostenlosen Download

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