BÖRSE EXPRESS: Als wir das nunmehrige Zertifikat das Monats Juni vor rund einem Monat vorstellten, musste ich je Stück 0,94 Euro zahlen – der Basiswert, die Aktie der Deutsche Bank notierte bei 9,21 Euro. Gestern waren es 1,82 bzw. 10,31 Euro. Ihr Faktor-Zertifikat brachte also bisher einen Gewinn von 94 Prozent, während die Aktie selbst 12 Prozent zulegte. Den Faktor 8 sehe ich nicht exakt – wie genau funktionieren denn Faktor-Zertifikate und worin sehen Sie Vor- bzw. Nachteile gegenüber Optionsscheinen und gehebelten etwa Turbo-Zertifikate?

STEFANO ANGIONI: Eine interessante Alternative zu Optionsscheinen, Turbos und Mini Futures sind Faktor-Zertifikate - das gilt sowohl für Trading-Novizen als auch für erfahrene Daytrader. Für die Papiere spricht vor allem, dass sich der tägliche Anlageerfolg sehr einfach nachvollziehen lässt. Denn der Faktor des Zertifikats ist nichts anderes als der täglich auf den gleichen Wert adjustierte Hebel. Dabei müssen Anleger nicht auf die Laufzeit achten - Faktor-Zertifikate haben keine Fälligkeit. Dadurch entfällt die teils komplizierte Berücksichtigung des Zeitwertverlustes wie es bei Optionsscheinen der Fall ist. Zudem ist die Betrachtung der Knock-Out-Schwelle, die bei Turbo-Zertifikaten insbesondere bei höheren Hebel schnell zum Totalverlust führt, bei Faktor-Zertifikaten eher zu vernachlässigen. Lediglich bei außergewöhnlich großen Kursausschlägen des Basiswerts kann es zu einem „Reset“ des Produkts kommen, der je nach Faktor erhebliche Verluste nach sich zieht. Beispielsweise würde bei einem Faktor 8 auf die Deutsche Bank ein Intraday- oder Overnight-Verlust in der Aktie von 12,5% Prozent dazu führen, dass dieses Produkt wertlos ist und vorzeitig beendet wird. Um dies zu umgehen, wird bereits bei 10% Intraday- oder Overnight-Verlust ein Reset (Intraday Restriking) durchgeführt. Dadurch werden die Hebel und alle Werte neu fixiert. Der Faktor 8 startet bei diesem geringeren Wert wieder neu, wodurch eine Kurserholung des Faktor-Zertifikates erschwert wird.

Faktor-Zertifikate sind vor allem für den Intraday-Handel attraktiv: Jeden Tag aufs Neue stehen dieselben Papiere mit den gewohnten Hebeln zur Verfügung. Bei einem Investment über mehrere Tage kann sich zudem der sogenannte Basiseffekt positiv auf die Performance von Faktor-Zertifikaten auswirken – sofern der Trend intakt bleibt. Steigt beispielsweise der Basiswert von einem Kursniveau von 9,61 auf 9,80 Euro an Tag eins und auf 10,09 Euro an Tag zwei, dann wird ein Long-Faktor-Zertifikat mit einem Faktor von 8 und einem Startpreis von 1,79 Euro am ersten Tag aus dem 2-prozentigen Plus des Basiswerts durch den Faktor 8 einen 16-prozentigen Anstieg machen und auf 2,08 Euro steigen. Am zweiten Tag legt das Papier dann um 24 Prozent (3 Prozent Basiswertentwicklung von 9,80 auf 10,09 Euro x Faktor 8) auf 2,57 Euro zu. Während der Basiswert also um insgesamt 5,06 Prozent gestiegen ist, kommt das Faktor-Zertifikat auf gut 43 Prozent und damit auf mehr als das Achtfache der Basiswertperformance. Gegenüber anderen gehebelten Finanzprodukte spielen Faktor-Zertifikate daher vor allem in einer Trendphase ihre Stärken aus.

Doch aufgepasst: Fällt der Basiswert am dritten Tag auf einen Kurs von 9,61 Euro zurück – basierend auf 10,09 Euro ein Minus von ca. 4,8 Prozent – , verliert das Faktor-Zertifikat vom erreichten Niveau aus ca. 38,5 Prozent (4,8 Prozent x Faktor 8) und notiert mit einem Kurs von 1,69 Euro anders als der Basiswert unterhalb des Ausgangsniveaus. Das Zahlenbeispiel veranschaulicht somit die Wertentwicklung des Produkts über einen längeren Zeitraum hinweg. Der Faktor wird lediglich über einen Handelstag konstant gehalten – bei einer längeren Haltedauer bei abwechselnd steigenden und fallenden Kursen im Basiswert weicht die Wertentwicklung vom Faktor jedoch ab.

 

BÖRSE EXPRESS: Faktor-Zertifikate sind wahrscheinlich für den eher trading-orientierteren Anleger gedacht?

STEFANO ANGIONI: Faktor-Zertifikate eignen sich weder für volatile Seitwärtsphasen noch für eine längerfristige Anlage, da immer wieder zwischenzeitliche Korrekturen möglich sind. Daher beträgt der optimale Anlagehorizont für ein Faktor-Zertifikat einen Tag. Nur wenn starke Trendbewegungen erwartet werden, lohnt es sich ein Faktor-Zertifikat für einen längeren Zeitraum zu halten.

 

BÖRSE EXPRESS: Die Deutsche Bank bestach zuletzt (Anm. vor der positiven Gewinnwarnung Mitte Juli) nicht unbedingt durch positive Nachrichten – warum entschieden Sie sich für diesen Basiswert?

STEFANO ANGIONI: Faktorzertifikate eignen sich vor allem für Basiswerte, welche über die empfohlene Haltedauer von einem Handelstag hinaus starke Trends aufweisen. Langfristige Wertentwicklungen sind dabei sekundär, da es lediglich um die Wertentwicklung des Basiswerts während einer kurzen Dauer, wie z.B. einem Tag geht. Im Fall Deutsche Bank, deren Aktie relativ gesehen eine hohe Volatilität gegenüber anderen Aktien im DAX aufweist, können ausgehend vom Allzeittief der Aktie entsprechende positive Schlagzeilen in Long-Faktorzertifikaten bereits zu starken Kursgewinnen führen.

 

BÖRSE EXPRESS: Gemäß einer neues ESMA-Richtlinie ist der Vertrieb binärer Optionen für Privatanleger seit 2. Juli verboten. Darunter fällt in der Definition auch die Produktpalette an Inline- sowie StayHigh und StayLow-Optionsscheinen. Wie sehr waren diese Produkte bei Ihren Kunden gefragt? Gibt es eine Statistik über die Ausfallsquoten für Private?

STEFANO ANGIONI: Keine Aussage dazu. Bitte um Verständnis. Ich äußere mich nur in Hintergrundgesprächen dazu. Entscheidungen von Regulatoren müssen von der offiziellen SG Pressestelle beantwortet werden.

 

BÖRSE EXPRESS: Ich versuche es so: Da die Produktidee eigentlich einfach zu verstehen ist: Können Sie a.) die Argumente der Aufsichtsbehörde in diesem Fall nachvollziehen

STEFANO ANGIONI: Wie zuvor - keine Aussage dazu.

 

BÖRSE EXPRESS: Aber vielleicht b.) – es gibt für alle Fans dieser Produktkategorie doch sicher die Möglichkeit, sich seinen Inliner per Kombination von zwei anderen Produkten selbst zu gestalten?

STEFANO ANGIONI: Den exakten Mechanismus von Inline-Optionsscheinen selbst abzubilden ist mit erheblichem Aufwand verbunden, und vermisst die Einfachheit und Transparenz der bis vor kurzen angebotenen Produkte auf dem deutschen Markt. Gehen Kunden jedoch von einem seitwärts verlaufendem Basiswert aus, so lässt sich diese Erwartung mittels Alternativen zu den bisherigen Inline-Optionsscheinen durch Discount- und Bonus-Zertifikate, sowie insbesondere Discount-Optionsscheine abbilden.

 

BÖRSE EXPRESS: Da die Stimmung an den Märkten zuletzt unruhiger wurde, merken Sie das bei den Absätzen bestimmter Produktkategorien? Werden etwa verstärkt Absicherungsstrategien verwendet?

Ja, aktuell sind Put-Optionsscheine zur Portfolio-Absicherung sehr gefragt, vor allem Produkte welche mit längeren Laufzeiten ausgestattet sind. Durch die historisch geringe Schwankungsbreite (Volatilität) sind diese Absicherungen relativ günstig.

 

BÖRSE EXPRESS: Wenn ich mein Aktienexposure relativ einfach absichern möchte, würden Sie das eher per S&P oder DAX machen? Und hätten Sie da ein Produktbeispiel dafür?

STEFANO ANGIONI: Das kommt im Einzelfall darauf an, ob das jeweilige abzusichernde Portfolio hauptsächlich aus europäischen oder nordamerikanischen Aktien besteht, oder gegebenenfalls aus einem Mix. Bei nordamerikanischen Aktienportfolios würde sich unter anderem auch eine Absicherung über Dow Jones oder Nasdaq 100 Index anbieten, umgesetzt durch am Geld notierende Put-Optionsscheine mit einer Laufzeit die dem Absicherungshorizont entspricht. Durch die Wahl eines aus dem Geld liegenden Puts werden die Absicherungskosten reduziert, jedoch auch gleichzeitig der Absicherungswert reduziert.

Zur Veranschaulichung dient folgendes Zahlenbeispiel. Bei einem aktuellen Stand des DAX von 12.550 Punkten, einem Wert des abzusicherndem Portfolio von 100.000 Euro und einem Bezugsverhältnis der Optionsscheine von 0,01 errechnet sich die Anzahl der benötigten Optionsscheine für die Absicherungsposition als 100.000 / 12.550 / 0,01 = 796 Stück. Hierfür würde sich der Put Optionsschein mit der WKN ST0HCB anbieten, welcher einen Basispreis von 12.550 Punkten aufweist mit einem Bewertungstag am 16.01.2019. Bei einem aktuellen Briefkurs von 5,51 Euro ergeben sich somit Absicherungskosten in Höhe von 4,39% (5,51 x 796 / 100.000) bezogen auf das Gesamtportfolio.

 

BÖRSE EXPRESS: Gibt es bei Ihnen derzeit ein Produkt, kann auch aus dem Sekundärmarkt sein, dass Ihnen besonders gut gefällt?

STEFANO ANGIONI: Mit Reverse Bonus-Zertifikaten setzen Anleger prinzipiell auf fallende Notierungen eines Basiswerts. Sie nehmen eins zu eins positiv an einer negativen Kursentwicklung des Basiswerts teil. Darüber hinaus bieten Reverse Bonus-Zertifikate eine Teilabsicherung und die Chance auf eine Bonuszahlung am Laufzeitende. Wenn der Basiswert während der Laufzeit die Barriere zu keinem Zeitpunkt überschreitet, bekommt der Inhaber des Zertifikats bei Fälligkeit mindestens den Bonusbetrag ausbezahlt und hat damit die Chance, an Seitwärtsmärkten zu partizipieren. Wenn der Basiswert unter das Bonuslevel fällt, kann sich die Rendite darüber hinaus erhöhen. Steigt der Basiswert während der Laufzeit dagegen über die Barriere, gehen die Teilabsicherung und die Bonuschance verloren. Der Anleger partizipiert dann negativ eins zu eins an der steigenden Performance des Basiswerts. Hierbei kann es zu Verlusten, bis hin zum Totalverlust, kommen, falls der Basiswert bis zur Fälligkeit über das Reverse-Level hinaus steigt.

Beispielsweise bietet das Reverse Bonus Zertifikat mit der WKN ST20QM auf den DAX mit Bewertungstag am 15.03.2019 aktuell eine Bonus-Rendite von 24,13% p.a. Das Bonus-Level ist dabei auf 9.200 Punkte festgelegt, während Barriere und Reverse-Level bei 13.600 bzw. 22.000 Punkten liegen.

 

BÖRSE EXPRESS: Zum Schluss wenn geht noch eine persönliche Einschätzung: Die Märkte stehen Ende des Jahres höher und tiefer als jetzt?

STEFANO ANGIONI: Definitive Aussagen ob die Märkte Ende des Jahres höher oder niedriger schließen werden als heute, können zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht getroffen werden, da es eine Vielzahl unterschiedlicher, teils sich verstärkender oder aber gegenläufiger Faktoren zu beachten gibt. Auf dem Ölmarkt bleibt es interessant. Mit dem Anstieg des Ölpreises auf über 60 US-Dollar pro Barrel ist die Volatilität zurückgekehrt. Während des letzten OPEC-Meetings Ende Juni 2018 einigten sich die teilnehmenden Länder auf eine leichte Erhöhung der Fördermengen. Für den Rest des Jahres 2018 wird weiterhin ein Anstieg der Ölnachfrage erwartet. Sollten die OPEC Staaten jedoch weiter Zurückhaltung zeigen, so wird die gestiegene Nachfrage höchstwahrscheinlich durch US-Schieferölproduktion gedeckt werden.

Mitte Juli fiel der Goldpreis auf den niedrigsten Stand seit einem Jahr, verstärkt von einer Aufwertung des US-Dollars und einer anhaltenden Normalisierung der Geldpolitik in den USA. Federal Reserve Chairman Jerome Powell veröffentlichte zuletzt positive Konjunkturaussichten, die auf eine positive Wachstumsdynamik hindeuteten. Trotz der zunehmenden Handelsspannungen zwischen den USA und China ist es unwahrscheinlich, dass Gold seinen Status als sicherer Hafen für besorgte Anleger (Safe-Haven) zurückgewinnen wird.

Während des Sommers wird mit einem neuen Tiefstand des EUR/USD Wechselkurses gerechnet und die ausschließliche Erholung wird schwächer ausfallen als befürchtet. Solange ein Austritt Italiens aus der Eurozone nicht komplett vom Tisch ist, wird auch eine vollumfängliche Erholung des Euros relativ unwahrscheinlich bleiben. Mit der anhaltenden politischen Unsicherheit in den USA und des damit verbundenen potentiellen Handelskriegs könnten die positiven wirtschaftlichen Aussichten deutlich abgeschwächt werden. Trotz aller negativen Schlagzeilen hat der von den USA ausgehende Protektionismus einen positiven Effekt auf Handelsliberalisierung anderer Staaten, wie sich beispielsweise in beschleunigten Verhandlungen zwischen der EU und ihren Handelspartnern zeigt. Auf die Strafzölle der USA welche auf Importwaren aus China abzielen erwiderte China wie erwartet mit Gegenzöllen und einer WTO Beschwerde. Nichts desto trotz bleiben die Erwartungen mäßig positiv, da Präsident Trump Zwischenwahlen im November bevor stehen und entsprechende wirtschaftsliberale Kompromisse erwartet werden dürften. Darüber hinaus sind in den entwickelten Staaten derzeit jedoch positive Anzeichen sichtbar, basierend auf aktuellen Notenbankentscheidungen. Gepaart mit liberaler Fiskalpolitik, wird dieser Effekt erneut verstärkt, insbesondere in den USA, was wiederum positive Auswirkungen auf den Rest der Welt haben könnte.

Aus China kamen zuletzt positive Nachrichten, da die Regierung Pläne veröffentlichte, ausländischen Investoren weiterhin den Zugang zu lokalen Finanzmärkten zu erleichtern. Unter welchen Bedingungen dies umgesetzt werden soll, wird sich zeigen, eine an internationale Richtlinien orientierte Finanzmarktaufsicht wird dabei aber eine wesentliche Rolle spielen. In Zusammenhang mit der Lockerung des Aktienmarktes in China könnte die Volatilität am globalen Aktienmarkt ansteigen, da auch die Bestimmungen für chinesische Investoren im Ausland, beispielsweise im Hinblick auf Kapitalabflüsse des Yuan, gelockert werden sollen. Bereits in den letzten Monaten floss vermehrt Geld von chinesischen Investoren nach Hong Kong.

Zusammenfassend gibt es also einen gewissen Impulsverlust - die Weltwirtschaft wird aller Voraussicht nach bisherige Wachstumszahlen nicht im selben Maße auf lange Frist halten können. Ein substanzieller Rückgang des Wachstums ist angesichts der monetären Entwicklungen jedoch weitgehend unwahrscheinlich. Die Rahmenbedingungen in den führenden Volkswirtschaften bleiben äußerst überzeugend. In welche Richtung sich der Handelskrieg zwischen den USA und China entwickeln wird und inwiefern sich Entwicklungen in Europa entfalten werden, ist bis dato jedoch nicht abschätzbar.

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