Katharina Scheyerer-Janda: In der bisherigen Diskussion ist es bereits angeklungen. Die Wiener Börse ist international betrachtet sehr klein, die meisten Unternehmen sind auch eher klein - bis auf wenige Ausnahmen. Der Kapitalmarkt hat als Instrument der Unternehmensfinanzierung eine immens wichtige Funktion, die hierzulande oft unterschätzt wird. Dennoch ist die Außenwahrnehmung des Kapitalmarkts bzw. der Wiener Börse bei vielen Menschen, mit denen man spricht, nicht unbedingt die Beste. Hätten Sie vielleicht Ideen wie man diese Außenwahrnehmung verbessern könnte?

Daniel Folian: Grundsätzlich gibt es ja tolle Unternehmen an der Wiener Börse, die eine sehr hohe Dividende zahlen. Es macht also, vor allem in dem aktuell niedrigen Zinsumfeld, einfach Sinn Aktien von Unternehmen zu kaufen, die eine Dividende zahlen. Das sind ja teilweise 4 oder 5 Prozent, von soliden Unternehmen.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Was man am Sparbuch nicht bekommt...

Franz Jurkowitsch: Ich glaube die Politik hat in Österreich die Börse immer als Stiefkind betrachtet. Egal welche Regierung dran war. Man sieht das auch in der Änderung der Besteuerung, der Behaltefristen usw. Ich denke es ist höchst an der Zeit da etwas zu verändern. Es geht vor allem darum, dass man die Aktie nicht als Spekulation sieht, wie es in der Vergangenheit geschehen ist und noch immer passiert. Diese Meinung schlägt sich in den Massenmedien nieder, man sieht das teilweise auch bei vielen Politikern. Der Kauf und Verkauf von Aktien wird mit Spekulation mit einer negativen Konnotation gleichgesetzt. Dadurch entsteht natürlich ein negatives Image. Ich denke, dass ist das Erste was man wegbringen müsste. Das Zweite ist die Einstellung, dass man glaubt, dass eine Aktie täglich steigen muss. Das darf man sich nicht erwarten, dort wo es so war hat sich am Ende herausgestellt, dass da mitunter etwas passiert ist, was in Richtung einer strafrechtlichen Entwicklung ging. Aktien entwickeln sich nicht kontinuierlich, wie mit einem Lineal gezeichnet, nach oben. Da gibt es einfach sehr viele Faktoren, die den Kurs beeinflussen. Man muss den Leuten auch das Vertrauen geben und ihnen erklären, dass man mit einer Aktie nicht sofort verdient. Man muss ihnen bewusst machen, dass die Aktie eine echte Alternative ist, wenn man für sein Alter oder für seine Enkel spart. Aktien muss man in der langfristigen Entwicklung sehen.

Hannes Havranek: Ich befürchte, dass das in den Köpfen nicht drinnen ist. Ich denke, dass in den Köpfen vieler Menschen drinnen ist, dass eine Aktie bedeutet, dass man in einer kurzen Frist viel Geld machen kann. Also Handelsspekulation und nicht ein langfristigeres Investment.

Franz Jurkowitsch: Sie haben Recht, das ist aus meiner Sicht auch das Wichtigste. Man muss diesen Spekulationsgedanken wegbringen. Man muss den Menschen sagen: Freunde, wenn Ihr die Aktie A, X, B oder C kauft schaut nicht täglich darauf, ob ihr reicher oder ärmer geworden seid. Schaut euch an - wie Daniel schon gesagt hat - wie hoch etwa die Dividendenrendite ist. Und die ist im Moment weit über dem was der Anleihenmarkt bietet. Sie ist aber auch höher, als dass was der Wohnbaumarkt oder sonst etwas bringt. Seien wir uns ehrlich, man bekommt mehr, als wenn ich mir heute eine Anleger-Wohnung kaufe. Wenn man alle Nebenkosten usw. miteinberechnet liegt da die Rendite bei 1,5% netto.

Hannes Havranek: So die Mieter überhaupt bezahlen, ...

 

Katharina Scheyerer-Janda: Und außerdem erspart man sich den Ärger mit Mietern.

Franz Jurkowitsch: Ja. Diese Bewusstseinsbildung wäre einmal ein erster Schritt. Wobei der neue Börse Chef da sehr initiativ ist. Ich würde sagen es ist jetzt ein bisschen Bewegung drinnen. Sinn würde wahrscheinlich auch machen, dass man die Haltefrist wieder einführt. Die muss nicht ein Jahr sein, die kann auch 3 Jahre sein, um dieses längerfristige Denken wieder rein zu bringen. Mit der Elektronik der Banken wäre es heute ja kein Problem das zu erfassen. Ich glaube man müsste in diese Richtung denken.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Ein spannender Ansatz, ...

Franz Jurkowitsch: Und vielleicht sollte man auch ein Education Programm mit Journalisten aufsetzen. Nicht unbedingt nur mit den Wirtschaftsjournalisten, sondern auch mit jenen, die ein wenig den Zeitgeist beeinflussen. Vielleicht müsste man Blogger finden.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Es gibt ja Blogger, die sich mit Finanzthemen auskennen und auseinandersetzen.

Franz Jurkowitsch: Ja, das sind aber nicht wahnsinnig viele. Die sind nicht sehr verbreitet. Ich denke in diese Richtung sollte man gehen.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Was denken Sie Herr Schwartz?

Gerhard Schwartz: Ich sehe das ganz genauso. Für mich ist der Umgang mit Kapitalmarktthemen schmerzlich. Es fehlt an einem sachlichen, neutralen Umgang mit dem Thema. Man schwankt von einem Extrem ins andere. Wenn man jetzt einige Jahre zurückgeht, hat man versucht die Aktie, etwa bei Privatisierungen, als das bessere Sparbuch zu vermarkten. Als Sparer hatte man dann die Katastrophe oder die Enttäuschung, als sich herausgestellt hat, dass das nicht ganz so ist. Und auf der anderen Seite gibt es diese ideologisch motivierte Argumentation, diese Spekulanten tun etwas wovon wir nicht wissen was da dahintersteckt. Es gibt eigentlich nichts dazwischen und das ist ein Riesenproblem.

Ich glaube auch, dass dieser Education-Ansatz wichtig ist, bei jenen, die Meinung wiedergeben und teilweise auch mitgestalten. Ich bin aber überzeugt, dass wir - so wie in vielen Bereichen im Leben - viel früher beginnen müssen. Wir haben im gesamten Bildungsbereich, angefangen in der Schule, eine katastrophale wirtschaftliche Ausbildung. Es ist eigentlich nichts da. Da müssten wir ansetzen und von jeglicher Ideologie befreit einen sachlichen Umgang mit den aktuellen wirtschaftlichen Themen bis hin zur Finanzierung einführen. Das ist in Ländern, die bildungsmäßig immer wieder als Beispiel genannt werden, wie die nordischen Länder Schweden oder Finnland, deutlich besser. Da hat man das als starken Block drinnen und ich glaube darum wird man nicht herumkommen. Wenn man die Massenmedien liest - ab und zu sehe ich mir bei solchen Artikeln auch die Postings an - ist es geradezu erschreckend was man da liest. Natürlich ist da die Frage wie relevant oder repräsentativ die Postings sind. Aber wenn nur ein Teil davon repräsentativ ist, dann braucht man sich über nichts mehr wundern. Ich glaube, da muss man wirklich ansetzen, da sind wir massiv hinten nach.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Was denken Sie Herr Havranek?

Hannes Havranek: Eigentlich genau das Gleiche. Die größte Arbeit wird darin bestehen mit der Politik ein Einvernehmen darüber herzustellen, dass in punkto Wirtschaftsbildung etwas gemacht werden muss. Das bedeutet, dass Initiativen gestartet werden um die Wahrnehmung des Kapitalmarktes in der Öffentlichkeit zu verbessern. Ich bin überzeugt, dass wenn der Prozess einmal beginnt, er sicherlich auch fort zu setzen ist. Der schwierigste Teil des ganzen Procederes ist aber sicher den Prozess zu starten um das Mindsetting entsprechend zu ändern.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Das betrifft jetzt nicht nur mögliche Aktionäre, sondern auch die Unternehmen. Viele - vor allem Familienunternehmen - scheuen sich ja davor an die Börse zu gehen. Was wären da die Argumente, die man vorbringen könnte, um den Unternehmen die Angst zu nehmen?

Daniel Folian: Wenn es mehr Investoren in Österreich geben würde, wäre der Vorteil, dass viele Unternehmen nicht ins Ausland verkauft werden. Man denke nur an den Flughafen Wien oder die Telekom, wo ja auch große Anteile im Ausland gehalten werden.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Und für die Unternehmen selbst, wie könnte man diese überzeugen, dass ein Börsegang durchaus interessant sein kann? Beißt sich da die Katze nicht ein bisserl in den Schwanz, weil wir zuerst mehr Aktionäre brauchen?

Daniel Folian: Sicher, man bräuchte mehr Investoren in Österreich. Es gibt derzeit halt nur eine Handvoll Fonds die kleine Titel in Österreich kaufen.

Franz Jurkowitsch: Ich glaube es geht noch ein bisschen weiter, wenn wir uns die Nachkriegsgeschichte europäischer Länder ansehen. Dabei können wir getrost die Großen weglassen. Die Länder die sehr früh mit einer zusätzlichen Pensionssäule begonnen haben, also zweiter oder dritter Säule, das waren die Skandinavier und das war Holland. Das waren auch die Länder, die sehr schnell sehr starke Börsen bekommen haben. Wenn wir uns die Situation in Österreich anschauen, so sind die entsprechenden Fonds - sprich Aktienfonds – bei uns überschaubar. Dazu kommt, das Problem, dass der Regulator relativ starke Vorschriften macht. Das heißt die Fonds müssen einen sehr hohen Anteil an Bonds hineinnehmen, die aber im Moment sicher negativ verzinst sind. Dadurch sind natürlich auch die Versuche mit Pensionskassen usw. in Wirklichkeit kein Erfolg. Man müsste auch hier mehr Möglichkeiten schaffen, um in Aktien zu investieren. Wir haben in Österreich eigentlich nur eine Handvoll Fonds, die massiv in Aktien investieren können. Wenn Sie das vergleichen mit skandinavischen Ländern, mit Holland, mit Belgien, mit Frankreich ist das ein Riesenunterschied.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Vielleicht kommen wir irgendwann ja dahin?

Franz Jurkowitsch: Der Kapitalmarkt besteht ja aus vielen Elementen und Mitspielern, damit der Markt ein Markt wird. Da gibt es in Österreich noch viel zu tun. Einerseits fehlt uns die Stimmung in der Bevölkerung, weil mögliche Kleinaktionäre die Aktie als Spekulation sehen. Eine Spekulation, die sie ablehnen. Zweitens fehlen uns aber auch institutionelle Spieler, weil viele der institutionellen Anleger sehr strikten Regularien unterworfen sind die ein Investment in Aktien schwer möglich machen. Und es fehlt uns natürlich eine kapitalmarktfreundliche Besteuerung. Angesichts der höheren KESt auf Erträge aus Wertpapieren kann man derzeit von einer steuerlichen Begünstigung für Aktien, die aber wichtig wäre, ohnehin nur träumen. Das größte Problem ist das Faktum das steuerliche Regelungen in diesem Bereich relativ leichtfertig aus Budgetüberlegungen immer wieder geändert werden. Wenn man dauernd etwas ändert, ist das das Schlechteste was man tun kann. Die Anleger merken sich das und verlieren das Vertrauen. Ich denke dass man auf allen drei Ebenen etwas tun muss.

 

Katharina Scheyerer-Janda: Ein schönes Schlusswort.

 

Robert Gillinger: Entschuldigen Sie, dass ich mich noch einmal einschalte. Ich hätte da noch eine letzte Frage zum Thema Familienbetriebe und Börse. Gibt es ein Erfolgsgeheimnis mit dem man ein Familienunternehmen langfristig erfolgreich an der Börse platzieren kann. Eigentlich reden wir in Ihrem Fall ja von zwei Familien. Wie schafft man das zwei Familien über viele „Jahrzehnte“ zusammen zu halten. Muss man da im Tresor Schmutzwäsche über den anderen haben?

Franz Jurkowitsch (lacht): Nein, ich glaube dann sollte man was anderes machen. Man muss Vertrauen haben und die Wertschätzung, die man dann an der Börse allen Aktionären entgegenbringen sollte, muss man - so lange man nicht an der Börse ist - ganz einfach der anderen Familie entgegenbringen.

 

Robert Gillinger: Wenn man mehr als 10 Jahre an der Börse notiert, verändert sich ja das Umfeld. Die Familien, die Lebensumstände von jedem Einzelnen verändern sich. Ist der Kitt dann immer die gemeinsame Vision des Unternehmens?

Franz Jurkowitsch: Ja, und Vertrauen muss man auch haben. Vertrauen ist die wichtigste Basis.

Daniel Folian: Also wir haben ein Kernteam von Mitarbeitern, die teilweise schon 20 oder über 20 Jahre bei uns im Unternehmen sind. Wir sind sozusagen ein Mehrfamilien Unternehmen, weil bei uns teilweise Mutter und Tochter, Mann und Frau und Vater und Sohn arbeiten. Zum Teil sind das Mitarbeiter, die noch im Handelsunternehmen mit meinem Großvater begonnen haben. Die halten das Unternehmen zusammen.

 

Der erste Teil des Gespräches ist am 17.12.2019 erschienen. Sie können ihn hier abrufen: http://bit.ly/bex_roundtable_1 Den zweiten Teil finden Sie hier.