Auf der Zielgeraden im Untersuchungsausschuss zum Wirecard -Skandal haben die Oppositionsparteien und die Union Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ins Visier genommen. "Der Finanzminister trägt die maßgebliche Verantwortung im Zusammenhang mit diesem Wirecard-Skandal", sagte Unions-Obmann Matthias Hauer am Mittwoch. Welche persönliche Verantwortung der SPD-Politiker trage, "diese Entscheidung werde ich jetzt natürlich nicht vorwegnehmen". Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte im Ausschuss, dass ihr Ministerium bei dem Betrugsskandal aus gesetzlichen Gründen nicht eingreifen konnte.

"Erst einmal ist aus meiner Sicht ganz deutlich in diesem Untersuchungsausschuss geworden, dass Olaf Scholz die politische Verantwortung trägt", sagte Hauer. Hintergrund ist, dass das Finanzministerium für die Finanzaufsicht Bafin zuständig ist. Der Bafin werden schwere Fehler rund um den Betrugsskandal bei Wirecard vorgeworfen. "Es stellt sich sowohl die Frage, welche Verantwortung trägt Jörg Kukies und welche Verantwortung trägt Olaf Scholz", betonte Hauer. Finanzstaatssekretär Kukies sollte am Mittwoch vom Ausschuss befragt werden, Scholz wird am Donnerstag erwartet.

Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im Juni 2020 eingestanden, dass in der Bilanz aufgeführte 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf asiatischen Bankkonten lagen, nicht auffindbar sind. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von einem "gewerbsmäßigen Bandenbetrug" aus - und zwar seit dem Jahr 2015. Mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein. Hauer geht davon aus, dass durch den Wirecard-Skandal und die folgende Insolvenz ein wirtschaftlicher Schaden von rund 22 Milliarden Euro entstand.

Die Justizministerin sagte, das Ressort habe bei der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) keinen Zugriff auf Einzelfälle und übe keinerlei Aufsicht aus. Das Ministerium habe kein Weisungs- und Informationsrecht. Das könne man kritisieren mit dem Wissen von heute, aber so sei das Konstrukt gewesen.

Der privatrechtlich organisierte Verein DPR kontrolliert im Staatsauftrag Bilanzen. Die Finanzaufsicht Bafin hatte der auch als Bilanzpolizei bezeichneten Prüfstelle im Februar 2019 den Hinweis auf Ungereimtheiten in der Halbjahresbilanz 2018 von Wirecard gegeben. Daraufhin veranlasste die DPR eine Prüfung. Inzwischen hat die Bundesregierung den Vertrag mit der DPR zu Ende 2021 gekündigt.

Im Zentrum der Befragung von Finanzstaatssekretär Kukies dürfte ein von der Bafin verhängtes Leerverkaufsverbot im Februar 2019 stehen. Dieses spielt eine zentrale Rolle bei der politischen Aufklärung des Wirecard-Skandals. Es festigte bei Investoren den Eindruck, Wirecard sei Opfer einer gezielten Attacke. Leerverkäufer spekulieren auf fallende Kurse eines Unternehmens und veröffentlichen dafür oft bewusst negative Informationen.

"Die Finanzaufsicht, die Bafin, und das Bundesfinanzministerium hatten sicherlich von allen staatlichen Stellen die stärksten Berührungspunkte zu Wirecard", sagte FDP-Obmann Florian Toncar und nannte Kukies einen Schlüsselzeugen. "Insofern wird die Befragung von Herrn Kukies heute natürlich vor allem darum gehen, auch herauszubekommen, wie er mit dem Minister zusammengearbeitet hat".

"Wir wissen, wie zentral diese Fehlentscheidung zum Leerverkaufsverbot gewesen ist", bekräftigte Grünen-Obfrau Lisa Paus. "Gegen Mitternacht haben wir erfahren, dass sehr wohl der Minister Scholz informiert war, zumindest gut informiert war, über die Vorbereitung zum Leerverkaufsverbot", sagte die Grünen-Politikerin. Paus erklärte mit Blick auf die Aussage eines früheren Abteilungsleiters aus dem Finanzministerium, das Büro von Scholz selbst sei über das folgenreiche Leerverkaufsverbot vorab informiert gewesen. Paus warf dem Minister eine scheibchenweise Informationspolitik vor. Dies nähre den Verdacht, dass Scholz "persönlich viel tiefer im Wirecard-Sumpf steckt, als bisher angenommen".

SPD-Obmann Jens Zimmermann betonte entgegen dieser Vorwürfe, dass es sich dabei um "keine neue Information" handele. "Man muss halt seine Unterlagen auch mal studieren." Es sei wichtig, bei der Aufklärung bei der Sache zu bleiben. "Die konstruktive Arbeit, die uns jetzt über Monate geprägt hat, die Arbeit, die geht jetzt ein bisschen in die politische Auseinandersetzung über." Zimmermann verwies darauf, auch die zuständige EU-Behörde habe dem Verbot zugestimmt. Es habe für das Finanzministerium keine Veranlassung gegeben, Alarm zu schlagen.

Die Opposition will die Frage klären, warum das Finanzministerium beim Leerverkaufsverbot nicht eingeschritten ist. Zum Abschluss der Zeugenbefragung im Untersuchungsausschuss wird am Freitag Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet./klü/DP/nas

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AXC0341 2021-04-21/17:26

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