Unter dem Konkurrenz-Druck von Netflix und anderen Streamingdiensten wollen die Macher von Spielfilmen und Serien in der ARD immer experimentierfreudiger werden. "Wir orientieren uns zunehmend am Bedarf der Mediatheken. Wir stehen dabei aber noch am Anfang", sagte Degeto-Geschäftsführerin Christine Strobl der Deutschen Presse-Agentur im Vorfeld der Berlinale. Die ARD-Tochter, die für Produktion und Beschaffung fiktionaler Stoffe zuständig ist, hat mehrere Renommierprojekte in Arbeit, die mit neuen Formen spielen und die Möglichkeiten der Mediathek ausreizen sollen. "Wir haben die Chance, größer und verschränkter zu erzählen", erläuterte Strobl.

Ein ambitioniertes TV-Projekt ist das Justizdrama "Der Feind - Recht oder Gerechtigkeit" nach Ferdinand von Schirach. Das Publikum kann zwischen dem Ersten und den Dritten hin- und herschalten. "Es ist ein Fall, den die Zuschauer aus zwei Perspektiven betrachten können. Es gibt die Perspektive des Polizisten, der versucht, um jeden Preis das Leben eines Kindes zu retten, auch mit Folter. Die zweite Perspektive ist die des Strafverteidigers, der das Handeln des Polizisten als illegal und die Beweise als nicht verwertbar anprangert."

Bjarne Mädel spielt dabei den Polizisten, Klaus Maria Brandauer den Anwalt. "In der Mediathek sind die Filme als Split Screen zu sehen. Das ist eine Riesen-Herausforderung für Drehbuch, Regie und Schnitt", erklärte die Degeto-Chefin. Das System ist ausgeklügelt: "In den Filmen kann man an bestimmten Punkten umschalten vom Ersten in die Dritten und umgekehrt. Es gibt immer wieder Szenen, in denen der Zuschauer damit zwischen den Perspektiven wechseln kann."

Der Film soll eine Diskussion anregen. Das Drehbuch ist bewusst so angelegt, dass man die Haltung beider Seiten nachvollziehen, wenn auch nicht unbedingt billigen kann, so Strobl. "Die Kernfrage ist: Kann Recht jemals gerecht sein? Die Idee hinter der Produktion ist, die Menschen zu einer Diskussion zu befähigen und die Demokratie damit zu festigen." Der Film läuft voraussichtlich Anfang 2021.

Experimentell auf eine andere Weise ist die Serie "Das Begräbnis". Regisseur Jan Georg Schütte hat bereits bei "Wellness für Paare" und "Klassentreffen" seine Schauspieler viel vor der Kamera improvisieren lassen. Es geht diesmal um die Gäste einer Besetzung, einen toten Familienpatriarchen und dessen schmutzige Geheimnisse. "Vieles findet schon geplant statt. Schütte will aber auch aus den Schauspielern etwas herauskitzeln." Ein aufwendiges Projekt: "Wir drehen mit 30 Kameras." Einer der Produzenten ist Klaas Heufer-Umlauf. Zwei Versionen sollen entstehen. Strobl: "Wir produzieren einen 90 Minuten langen Fernsehfilm, aber auch eine Langfassung von 6 mal 45 Minuten."

Wie zerbrechlich eine Demokratie ist, will der Zweiteiler "Kaltenmorgen" vor Augen führen, der ebenfalls in Arbeit ist. "Das ist eher eine klassische Produktion", sagte Strobl. Dennoch liefere auch sie Debattenstoff und zähle zu den Glanzlichtern, die für die Mediathek gedacht sind. "Es geht darum, dass mehrere Menschen sich aufmachen, die Demokratie zu stürzen. Ein Medienunternehmer, eine parlamentarische Staatssekretärin und jemand mit viel Geld."

Zum Wettbewerb mit Netflix und Co. sagt Strobl: "Unsere Herausforderung ist: Wir sind ein bisschen spät dran. Es wird ja oft gesagt, dass die Öffentlich-Rechtlichen ähnlich einem Tanker nur langsam den Kurs ändern können, aber wenn, dann mit einem gewissen Gewicht." Die Streaming-Plattformen hätten sich schon etablieren können. "Unser Vorteil und Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir Local Content als DNA bieten, somit regionale und auch deutsche Stoffe erzählen. Wenn wir dann noch anders erzählen als im linearen Fernsehen, haben wir eine gute Chance. Wir können den Zuschauern bieten, was in ihrem Lebensumfeld spielt und nicht US-Ware ist." Zudem kenne die Degeto die Kreativen und die Schauspieler gut./bok/DP/zb

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AXC0172 2020-02-20/10:20

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