Die Chance der Krise /Kommentar zur Lufthansa von Heidi Rohde

Frankfurt (ots) - Die Lufthansa ist stabilisiert - dank des beschlossenen

Rettungspaketes über 9 Mrd. Euro. Gerettet ist sie damit noch nicht. Ein

Quartalsverlust von 3,5 Mrd. Euro, das "schlechteste Ergebnis in ihrer

65-jährigen Geschichte", so die Airline, offenbart den Ernst der Lage. Die noch

immer düstere Perspektive zwingt den Vorstand zu einem verschärften Sparkurs -

und zur Eile. Konzernchef Carsten Spohr, der auch früher bei Veränderungen stets

die Beteiligung aller Stakeholder angemahnt hat, zieht nach wochenlangen

ergebnislosen Verhandlungen mit den verschiedenen Mitarbeitervertretungen die

Daumenschrauben an, und zwar besonders bei den hochbezahlten Piloten der

Kernmarke. Für diese Gruppe, die immerhin fast die Hälfte aller Piloten des

Konzerns ausmacht, hat sich das Blatt durch die Coronakrise besonders deutlich

gewendet.

Denn die Zeiten, als die Branche in Europa mit heftigen Wachstumsschmerzen zu

kämpfen hatte, liegen noch gar nicht lange zurück. Im Sommer 2018 mangelte es

überall an Personal und ganz besonders an Flugzeugführern, so dass es den

Gewerkschaften sogar gelang, den irischen Billigflieger Ryanair in zahlreichen

Ländern in Tarifverträge zu zwingen. Die - vielfach händeringend gesuchten -

Piloten nutzten ihr Erpressungspotenzial nicht nur gegenüber Ryanair. Auch bei

der Lufthansa erprobte die Berufsgruppe zuvor schon in zahlreichen Streiks ihre

Macht, um Pfründe zu sichern.

In der Coronakrise droht der Vereinigung Cockpit (VC) wie auch anderen

Gewerkschaften des Luftverkehrs ein dramatischer Machtverlust, den sie

allerdings nur durch konstruktive Haltung begrenzen kann. Der branchenweite

Stellenabbau, mit dem sich die Airlines auf eine lange Durststrecke einstellen,

fällt auch deshalb zum Teil drastisch aus, weil sich die Gewerkschaften gerade

bei den großen Netzwerkcarriern in den vergangenen Jahren mit Erfolg gegen

Einschnitte gewehrt haben, die ein wachsender Wettbewerb nötig erscheinen ließ.

Die Lufthansa ist da keine Ausnahme.

Die Coronakrise ist für das Management deshalb eine in diesem Ausmaß wahrlich

nicht erwünschte, aber doch gegebene Chance, um auch die Personalkosten auf ein

international wettbewerbsfähiges Niveau zu bringen. Dabei ist nicht zu

vergessen, dass dieser Kostenblock neben den Treibstoffen der dickste Brocken im

operativen Gesamtaufwand ist. Angesichts monatlicher Mittelabflüsse von derzeit

rund 500 Mill. Euro und mittelfristig schwacher Perspektiven bleibt dem Vorstand

wenig übrig, als dort tätig zu werden. Das weiß auch der Staat, der sein Geld

irgendwann zurückhaben will.

(Börsen-Zeitung, 07.08.2020)

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