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06.08.2020 | 19:30
Die Chance der Krise /Kommentar zur Lufthansa von Heidi Rohde
Frankfurt (ots) - Die Lufthansa ist stabilisiert - dank des beschlossenen
Rettungspaketes über 9 Mrd. Euro. Gerettet ist sie damit noch nicht. Ein
Quartalsverlust von 3,5 Mrd. Euro, das "schlechteste Ergebnis in ihrer
65-jährigen Geschichte", so die Airline, offenbart den Ernst der Lage. Die noch
immer düstere Perspektive zwingt den Vorstand zu einem verschärften Sparkurs -
und zur Eile. Konzernchef Carsten Spohr, der auch früher bei Veränderungen stets
die Beteiligung aller Stakeholder angemahnt hat, zieht nach wochenlangen
ergebnislosen Verhandlungen mit den verschiedenen Mitarbeitervertretungen die
Daumenschrauben an, und zwar besonders bei den hochbezahlten Piloten der
Kernmarke. Für diese Gruppe, die immerhin fast die Hälfte aller Piloten des
Konzerns ausmacht, hat sich das Blatt durch die Coronakrise besonders deutlich
gewendet.
Denn die Zeiten, als die Branche in Europa mit heftigen Wachstumsschmerzen zu
kämpfen hatte, liegen noch gar nicht lange zurück. Im Sommer 2018 mangelte es
überall an Personal und ganz besonders an Flugzeugführern, so dass es den
Gewerkschaften sogar gelang, den irischen Billigflieger Ryanair in zahlreichen
Ländern in Tarifverträge zu zwingen. Die - vielfach händeringend gesuchten -
Piloten nutzten ihr Erpressungspotenzial nicht nur gegenüber Ryanair. Auch bei
der Lufthansa erprobte die Berufsgruppe zuvor schon in zahlreichen Streiks ihre
Macht, um Pfründe zu sichern.
In der Coronakrise droht der Vereinigung Cockpit (VC) wie auch anderen
Gewerkschaften des Luftverkehrs ein dramatischer Machtverlust, den sie
allerdings nur durch konstruktive Haltung begrenzen kann. Der branchenweite
Stellenabbau, mit dem sich die Airlines auf eine lange Durststrecke einstellen,
fällt auch deshalb zum Teil drastisch aus, weil sich die Gewerkschaften gerade
bei den großen Netzwerkcarriern in den vergangenen Jahren mit Erfolg gegen
Einschnitte gewehrt haben, die ein wachsender Wettbewerb nötig erscheinen ließ.
Die Lufthansa ist da keine Ausnahme.
Die Coronakrise ist für das Management deshalb eine in diesem Ausmaß wahrlich
nicht erwünschte, aber doch gegebene Chance, um auch die Personalkosten auf ein
international wettbewerbsfähiges Niveau zu bringen. Dabei ist nicht zu
vergessen, dass dieser Kostenblock neben den Treibstoffen der dickste Brocken im
operativen Gesamtaufwand ist. Angesichts monatlicher Mittelabflüsse von derzeit
rund 500 Mill. Euro und mittelfristig schwacher Perspektiven bleibt dem Vorstand
wenig übrig, als dort tätig zu werden. Das weiß auch der Staat, der sein Geld
irgendwann zurückhaben will.
(Börsen-Zeitung, 07.08.2020)
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