Börsen-Zeitung: Risiko Wildwuchs, Kommentar zu Wirecard von Michael

Flämig

Frankfurt (ots) - Vorhang auf für Wirecard: Der Halbjahresbericht

des Online-Zahlungsabwicklers hat eine ungeheure Aufmerksamkeit auf

sich gezogen, obwohl die Eckzahlen schon vor Wochen veröffentlicht

wurden. Der Aktienkurs schoss um 10 Prozent in die Höhe auf einen

Rekordstand, und auch die breitere Öffentlichkeit nimmt nun von den

Münchnern Notiz. Schließlich wird Wirecard nicht nur als Kandidat für

den Auswahlindex Dax gehandelt, sondern ist seit dieser Woche auch

das wertvollste deutsche Bankunternehmen.

Der Marktwert-Riese kommt eigentlich als Zwerg daher. 4989

Mitarbeiter zählt Wirecard, während die übertrumpfte Deutsche Bank 19

Mal so viele Menschen beschäftigt. Doch die Münchner repräsentieren

die Zukunft. Ihr Geschäftsmodell zielt ausschließlich auf den

elektronischen Zahlungsverkehr. Dieser birgt nicht nur enorme

Skalenvorteile, weil er über wenige Plattformen gehebelt werden kann

und Wirecard in allen Weltregionen aktiv ist. Vielmehr wächst dieses

Geschäft auch enorm. Wirecard legt organisch und durch viele

Akquisitionen mit Raten von 40 Prozent plus zu.

Die "klassische" Online-Welt ist für Wirecard bereits teilweise

erobert, das Feld des mobilen Bezahlens folgt. Vorstandsvorsitzender

Markus Braun, der zudem Großaktionär ist, treibt dies als Visionär

voran. Werden Kunden künftig automatisch bezahlen, wenn sie ein

Produkt aus dem Supermarktregal nehmen und in die Tasche stecken? Ja,

glaubt Braun - und Wirecard wird dabei sein. Wie in vielen anderen

Fällen fließt nicht nur Geld, sondern es fallen Daten an. Dies ist

eine Goldgrube.

Die Reaktion der Börse am Donnerstag spiegelt dieses

Zukunftsversprechen. Denn die Anleger haben weder auf die längst

bekannten Quartalszahlen reagiert noch auf die Erhöhung der

Gewinnprognose 2018, schließlich liegen die durchschnittlichen

Analystenschätzungen schon am oberen Rand der neuen Spanne für das

Jahr 2018. Entscheidend war vielmehr die Perspektive: Wirecard hat

die Ziele für das Jahr 2020 erhöht und will noch stärker wachsen als

bisher versprochen.

Dieses Wachstum ist paradoxerweise der größte Feind des Erfolgs.

Denn es mindert Transparenz und Strukturbildung. Ein Detail

verdeutlicht den Wildwuchs: 99 Vorstände bzw. Geschäftsführer gibt es

bei Wirecard-Töchtern. Konsolidierung tut not. Der Konzern muss

innerlich die Konturen schärfen, um der äußerlichen Kontur gerecht zu

werden. Nur so kann das Zukunftsversprechen in solides Geschäft

umgemünzt werden.

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AXC0251 2018-08-16/20:31

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