Ende Oktober gab es ein heftiges Rauschen im globalen Finanzblätterwald: Christy Goldsmith Romero, die Kommissarin der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) in Washington, eine unabhängige Behörde, die die Futures- und Optionsmärkte der USA reguliert, sagte für die globalen Kryptomärkte eine ähnliche Stabilitätskrise voraus, wie es das traditionelle Finanzsystem im Jahr 2008 erlitten hatte. An dessen Folgen leidet das Weltfinanzsystem auch noch jetzt, 15 Jahre danach. Auslöser war damals eine zu hohe und unkontrollierte Risikobereitschaft von Finanzinstituten, die stark miteinander verflochten waren. Dasselbe drohe eben jetzt dem Kryptomarkt, der eigentlich deswegen erfunden worden ist, um die Schwächen und Risiken, die zur größten Finanzkrise der Erde geführt haben, zu beseitigen.

Sind wir tatsächlich drauf und dran, den Finanz-Teufel mit Finanz-Beelzebub auszutreiben?

Experten erklären, dass im globalen Kryptouniversum, das auf einer öffentlichen genehmigungsfreien Blockchain basiert - das heißt, dass jeder in die Blockchain schreiben kann - erhebliche Kosten der Schaffung bzw. der Validierung (Mining) von Kryptowährungen (Energie-, System- und Personalkosten) entstehen, die mit „echtem“ Geld (gesetzlichem Zahlungsmittel) gedeckt werden müssen. (Stromlieferanten nehmen höchst selten Bitcoins und Co als Zahlung an.) Allein die Aufrechterhaltung dieses Universums erfordert demnach laufend einen Zufluss an Kapital (= Investment in Kryptos), der durch die Mining-Kosten wieder aufgefressen wird. Eine weitere Schwachstelle des Kryptosystems ist die außergewöhnliche Zunahme von Hacks mit deren Hilfe Kryptowährungs-Guthaben schlicht gestohlen werden. Im CFTC-Bericht steht: „Zusätzlich zu den Bedenken hinsichtlich der Cybersicherheit kann die Pseudo-Anonymität von Krypto dazu führen, dass Betrüger mit Personen mit illegalen Absichten oder mit sanktionierten Einzelpersonen oder Unternehmen handeln oder sie dazu verleiten. . . Von Jänner bis September 2022 wurden 1,9 Milliarden US-Dollar an Kryptowährungen bei Hacks gestohlen.“ Dazu passt die Warnung der österreichischen Finanzmarktaufsicht: „95 Prozent der Krypto-Betrugsfälle sind unrettbar, weil deren Vertreiber im Ausland sitzen und unerreichbar sind.“

EU-Krypto-Regulierung 2024?

Die Europäische Union arbeitet an einer erstmaligen Regulierung von Kryptowerten und sogenannten Stablecoins, deren Emittenten, der Anbieter von Krypto-Dienstleistungen, der Handelsplätze und Wallets (Geldtaschen), in welchen Kryptowerte gehalten werden. Das alles fällt unter die Kurz-Bezeichnung MiCAR. Diese schon lang diskutierte europäische Regulierung ist zuletzt auf die erste Hälfte 2023 verschoben worden und sollte nach dem aktuellen Zeitplan Ende 2023/Anfang 2024 in Kraft treten. Die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) kündigt an: Damit werde der bisher rechtsfreie Krypto-Raum aufgehoben. Finanzdienstleister, die sich im Kryptomarkt betätigen, werden einschlägige Konzessionen besitzen müssen. „Denn Kryptos sind Finanzinstrumente, und ihr Vertrieb benötigt künftig eine Konzession; ohne eine solche darf man keine Geschäfte mit Kryptos machen“. Die FMA wird als nationale österreichische Aufsichtsbehörde fungieren.

Neben Österreich werden alle EU-Mitgliedstaaten als erster einheitlicher Wirtschaftsraum der Erde für Kryptos dasselbe Regelsystem haben - eine länderübergreifende Regulierung eines Teils des Finanzmarktes. Der neue Regelungsrahmen soll die Anleger schützen und die Finanzstabilität EU-weit absichern, zugleich Innovationen im Krypto-Sektor ermöglichen und die Attraktivität der Kryptobranche erhöhen. Die Anbieter von Krypto-Dienstleistungen werden haftbar, wenn sie Kryptowerte von Anlegern verlieren sollten. MiCAR wird sich auf alle Arten von Marktmissbrauch im Zusammenhang mit Transaktionen oder Dienstleistungen, besonders auf Marktmanipulationen und Insidergeschäfte, erstrecken. Marktakteure werden verpflichtet sein, eine Erklärung mit Informationen über ihren eigenen ökologischen und klimatischen Fußabdruck vorzulegen. Das klingt hoffnungsvoll, wird aber mit einem neuerlichen Schwung neuer Verwaltungsarbeiten daherkommen und zusätzliche Kosten verursachen, die die erhofften Einsparungen im Krypto-System auffressen könnten.

Hilfen und Widerstände.

Einwände dagegen liegen bereits auf dem Tisch: 1. Vorderhand unterliegen NFT (non fungible - nicht austauschbare - Token) nicht dem neuen ­Regulierungssystem. 2. ist zu befürchten, dass Krypto-Regulierungen anderer Erdregionen völlig anders aussehen werden als jene der EU; die Ansicht, was ein Finanzinstrument ist bzw. wie sein Handel korrekt vor sich gehen soll, ist global sehr unterschiedlich. Damit ist die Hoffnung auf ein baldiges weltweites Regulierungssystem für Kryptos vorderhand vergeblich.

Trotzdem gibt es Bemühungen, durch Transformation der Financial Services ein korrektes Settlement-System vorzubereiten. Das Zauberwort dafür ist DeFi („Decentralized Finance“). Es wird auf „smart contracts“ für Kredite, Guthaben, derivate Instrumente und Wechsel aufgebaut, die über einen Computer laufen.

Bernhard Haslhofer, Leiter der Forschungsgruppe Cryptofinance am Complexity Science Hub in Wien, formuliert die vier Haupteigenschaften von DeFi: „1. Disintermediation; man vertraut nicht mehr auf zentrale Institutionen wie Banken oder zentralisierte Krypto-Exchanges, sondern macht das Geschäft dezentral über Computerprogramme ohne Intermediäre. 2. das kann, muss aber nicht zu niedrigeren Kosten und Gebühren führen. 3. Widerstandsfähigkeit gegenüber Zensurmaßnahmen; man gerät nicht mehr in Gefahr, als Kunde zurückgewiesen zu werden, weil man auf irgendeiner Sanktionsliste steht. Man muss sich nicht identifizieren. Jeder ist in diesem System pseudonym unterwegs. 4. Die Kontrolle eines Finanzservices obliegt nicht mehr einer zentralen Instanz wie einer Bank, die z.B. den Zinssatz eines Kredits bestimmt, sondern eine Gruppe von Personen oder Computerprogrammen wird die Vorgänge kontrollieren, eine sogenannte Governance-Gruppe, die alles entscheidet.“

Da stellt sich die Gretchenfrage: „Wird durch die EU-Regulierung der Kryptomarkt wesentlich sicherer werden als er es jetzt ist?“ Haslhofer: „Er wird sicherer sein als bisher, aber er wird nie zu 100 Prozent sicher sein. Ich betrachte dennoch die geplante Regulierung als bitter notwendig.“ Eine weitere Frage: „Werden später vielleicht neue Unsicherheiten im Kryptosystem auftauchen, die die Nutzer schädigen werden?“ Haslhofer: „Ich bin sicher, dass neue Probleme sichtbar werden, die dann bei einer weiteren Regulierung gelöst werden müssen. So z.B., dass NFT nicht in die neue Regelung einbezogen sind. Die Non fungible Token spielen eine große Rolle bei Geldwäsche und illegalen Geschäften, die irgendwann später regulatorisch eingefangen werden müssen.“ Welchen materiellen Nutzen erkennt Haslhofer bei der Veranlagung in Kryptowährungen durch den Durchschnittsbürger? Seine Antwort enttäuscht: „Das habe ich bis heute nicht erkannt. Für mich sind Kryptowährungen eine reine Laborausstattung zur wissenschaftlichen Analyse, aber kein Investment.“

Kryptos: Problem oder Lösung?

Unter diesem Titel hatte die Initiative Weis[s]e Wirtschaft zu einer Veranstaltung zur Diskussion der aktuellen Lage und zur Untersuchung der Aspekte von Kryptoassets eingeladen. Der Finanzexperte dieser Gruppe, Peter Brandner, kam dabei zu folgenden Erkenntnissen: „Die Regulierung der Kryptomärkte kann sinnvollerweise nur auf globaler Ebene stattfinden. Das amerikanische Rechtssystem hat aber andere Sichtweisen als wir in Europa. Kryptoassets, deren Validierung der Blockchain auf einem energieintensiven Proof-of-work-Konzept basiert - wie z.B. Bitcoin - werden in den USA als Commodities gesehen und von der CFTC überwacht. Kryptoassets auf Basis einer Proof-of-Stake Validierung hingegen werden in den USA als Wertpapier mit der Zuständigkeit der SEC (US Securities and Exchange Commission) gesehen. Die im DeFi-Bereich wichtigste Blockchain – Ethereum – hat im letzten September auf eine Proof-of-Stake-Validierung gewechselt („the Merge“). Damit dürfte allein durch diesen rein technischen Aspekt die zuständige Aufsichtsbehörde in den USA wechseln“ gibt Brandner zu bedenken.

Der Gesamteindruck, der nach der erwähnten Veranstaltung „Kryptos, Problem oder Lösung?“ entstanden ist, bestätigt und unterstreicht die vielen noch ungelösten Probleme mit Kryptos und schiebt die große Hoffnung nach deren baldiger Lösung weit hinaus. Beratungsunternehmen werden sich zwar weiter anstrengen, die Banken in Sachen Kryptowährungs-Know-How rasch auf den aktuellen Wissensstand zu bringen, weil deren Kunden Antworten auf zahlreiche Anliegen und Unklarheiten betreffend Kryptos fordern, aber sie werden es vermutlich eher vermeiden, den Banken und deren Kunden allzu große Hoffnungen auf eine glänzende Zukunft des Kryptomarktes zu machen.

Wie hat der deutsch-amerikanische Finanzguru Heiko Thieme im „Börse Express“ kürzlich gesagt: „Ein Anleger mit Verstand wird höchstens 1 Prozent seines Vermögens in Krypto investieren; denn es handelt sich dabei um reine Spekulation wie in einem Spielcasino!“ Hat er recht?, so lautet die Gretchenfrage an Peter Brandner. Dieser erklärt knapp: „Das sind 2 Prozent zu viel!“

 

Aus dem Börse Express PDF vom 14.11. hier zum Download

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