Die begleitende Angst vor dem Unbestimmten wird zur unerwünschten Dauerbegleiterin. Der plötzliche und unerwartete Absturz aus der Höhe der produktiven Phase und der Blüte des beruflichen Lebens bei den jüngeren Krebspatienten führt häufig zur Arbeitsunfähigkeit aus somatischen (e.g. Schmerzen) aber auch psychischen (e.g. Depression) Gründen. Die älteren Betroffenen, die ohnehin an den genannten Begleiterscheinungen des Krebses leiden, sind häufig auf die Hilfe ihrer Angehörigen angewiesen, die sie von einem Arzt zum anderen und von einem Diagnosezentrum ins andere führen. Diese Aktivitäten sind sehr ressourcenintensiv. Zeit, Geld und die Lebenskraft werden immer knapper. Im Jahr 2018 wurden circa 40.000 ÖsterreicherInnen erstmalig „Krebs diagnostiziert“. Im selben Jahr starben über 20.000 ÖsterreicherInnen an Krebs. Die Prävalenz von Lungenkrebs (Anzahl der Patienten, die zu diesem bestimmten Zeitpunkt mit der Erkrankung lebten), der zweithäufigsten Krebsart bei Männern und dritthäufigsten Krebsart bei Frauen, betrug im Jahr 2018 knapp unter 20.000. Mit malignem Melanom (bösartiger Hauttumor), einer bis vor kurzem besonders rasch zum Tode führenden Krebsart, lebten knapp über 20.000 Menschen in Österreich. Obgleich die PatientInnen günstigere Überlebenschancen haben, wenn der Tumor früh genug entdeckt wird, bleibt trotz der verbesserten Diagnostik und der medizinischen Versorgung die Mortalitätsrate sehr hoch. In den meisten Fällen kommen in den späten Stadien der Krebsberkrankung Chematherapeutika zum Einsatz. In der Regel eine relativ kostengünstige Mixtur aus verschiedenen Zellgiften, deren Applikation dem Wurf einer Atombombe auf einen ohnehin geschwächten Körper gleich kommt. Durch diese chemische Bombardierung werden die meisten Zellen im Organismus geschädigt, in der Hoffnung, die eigentlichen Übeltäter- die Krebszellen zu töten. Dennoch bleibt die Erfolgsrate der alleinigen Chemotherapie sehr bescheiden. Der Kampf gegen den bösartigen Krebs schien verloren zu sein! Die Behandlungskosten blieben überschaubar, da die Versicherer die kurze Dauer der Krebsbehandlung aufgrund des fatalen Krankheitsverlaufes vorausberechnen konnten. Im Juni 2015 wurde doch plötzlich vieles anders. Am größten Krebskongress der Welt (ASCO 2015) sprach Jim Allison- der Vater der modernen Immuntherapie und Gewinner des Nobelpreises für Medizin und Physiologie im Jahr 2018- vor mehr als 32.000 Krebsspezialisten über die beobachtete „Heilung“ einer der bösartigsten Krebsformen- des malignen Melanoms- unter der immun-onkologischen Behandlung. Das Verzögern der Sterblichkeit war bis dahin das Ziel der Krebsbehandlung. Nun sprach ein sehr ernstzunehmender Wissenschafter sogar von der „Heilung“. Die Welt der Onkologen stand Kopf, und keiner der top key opinion leaders wollte es verpassen, in privatrechtlichen wie auch öffentlichen Medien von einer Revolution in der Medizin zu sprechen. Ihre Begeisterung konnten sie vor laufenden Kameras nicht verbergen. Tatsächlich waren die Überlebenskurven (overall survival) der Behandlungen mit den sogenannten Check-Point-Inhibitoren im Vergleich zur Behandlung mit herkömmlicher Chemotherapie beeindruckend. Ein einfach zu applizierendes Mittel, das durch die Stärkung des eigenen Immunsystems die Tumorzellen gezielt in Schach hielt, gab den betroffenen Patienten wieder Hoffnung, ohne ihren gesamten Organismus zu schädigen. Die Krebsgesamtbehandlungskosten waren bereits vor der Veröffentlichung der genannten Überlebensdaten sehr hoch. Allein in Österreich gaben wir jährlich ein knappes Prozent des BIPs für Krebserkrankungen aus (The Lancet, Economic Burden of Cancer Therapy across EU-publiziert am 14 Oktober 2013). Nun wollten aber nicht nur die Krebsspezialisten die „Wundermedikamente“ haben, sondern auch die betroffenen Patienten und deren Angehörige. Die nationalen Regelsysteme im Gesundheitswesen waren auf die drohende Kostenlawine nicht vorbereitet. Die Kontrollposten, die auf die kommenden Innovationen in der Medizin Ausschau hätten halten müssen , haben versagt. Bei 5.000 Krebsneuerkrankungen allein im Bereich der Lunge und Haut und einer durchschnittlichen Therapiebehandlung von 50.000 Euro Mehrkosten pro Jahr und Patient stellte sich viel zu spät die Frage, wer für diese Mehrkosten aufkommen muß, und vor allem wie diese Behandlungen finanziert werden können. Zusätzlich haben weltweit manch zuständige Organe im Gesundheitswesen es verabsäumt, die verbesserte Überlebensrate der Krebspatienten mit einzuberechnen. Nachdem in naher Zukunft jeder fünfte Krebspatient eine Lebenserwartung von nicht einem Jahr sondern mehr als zehn Jahren haben wird, sollten die Gesundheitspolitiker rasch handeln, um die ökonomischen Implikationen der neuen Krebsbehandlungsformen rechtzeitig zu verstehen - mit dem ethischen Gewissen, dass Überleben auch Produktivität bedeuten kann.

Über den Autor: Dr. med. Houman Kamali hat seine klinische Ausbildung in Wien und Zürich absolviert. Der in Wien geborene Arzt hat auch an der Columbia Business School und der Wirtschaftsuniversität Wien studiert. Er war bereits Manager bei mehreren Fortune 200 Unternehmen.