Ein halbleeres Glas Wein ist zwar zugleich ein halbvolles, aber eine halbe Lüge ist nicht die halbe Wahrheit.“ (Jean Cocteau, 1889 – 1963). In der Fülle an Informationen bleibt es zentrale Herausforderung die korrekte Sachlage zu analysieren. Oberflächlicher Medienkonsum reicht dabei nicht – zu oft und bei zu vielen Themen gibt es vorgefertigte Bilder in Form einer Einteilung in Schwarz-Weiß oder Gut-Böse. Echte Recherche kommt oft zu kurz – da und dort wohl auch bewusst. „Man wird uns kennenlernen“, drohte EU-Kommissionschef Juncker in Richtung Donald Trump und kündigte Gegenmaßnahmen an. Harley-Davidsons, Whiskey und Blue-Jeans sollen mit Zöllen belegt werden. Damit war ihm die europäische Medienaufmerksamkeit gewiss. Was er vergessen hat zu erwähnen ist, dass die EU ihrerseits seit geraumer Zeit 10% Einfuhrzölle berechnet, wenn Autos aus den USA in den EU-Raum importiert werden. Laut Deutschem Ifo-Institut liegt der ungewichtete Durchschnittszoll der EU gegenüber der USA bei 5,2%, jener der USA gegenüber dem EU-Raum bei 3,5%. Soviel zur Sachlage – ohne für eine Seite Partei zu ergreifen.

Die Rechnung zahlt der Konsument. Für klare Festlegungen über die Folgen des Zollstreits vor allem in der Beziehung China und USA ist es zu früh. Zu unberechenbar sind die Entscheidungsträger, zu unklar die Pläne, wenn überhaupt vorhanden. Zu Ende gedacht gibt es aber einige wahrscheinliche Konsequenzen:

- Höhere Zölle bringen höhere Preise. Die Rechnung zahlt am Ende des Tages immer der Konsument. Ein möglicher Handelsstreit würde daher die Inflationserwartungen nach oben bewegen.

- Die Chinesen werden noch mehr Energie darin investieren, die Rolle der eigenen Währung am Weltmarkt zu erhöhen. Die in diesen Tagen gestartete Möglichkeit Öltermin-Kontrakte in YUAN zu handeln ist ein Beispiel dafür. Die Argumente für einen schwächeren Dollar nehmen daher zu. Leider sind US-Währungsabsicherungen aktuell aufgrund der hohen Zinsdifferenzen teuer und kosten aufs Jahr gerechnet etwa 2,80 Prozent.

- Der Zinsdruck in den USA dürfte anhalten. Nachdem die Notenbank die Bilanzsumme schrumpfen will, werden die USA zur Darstellung der steigenden Verschuldung internationale Käufer für ihre Staatsanleihen brauchen.

- Die Verschuldung der US-Unternehmen ist nach den Jahren tiefer Zinsen hoch. Eine erhöhte Übernahmeaktivität ist ein Zeichen für die Spätphase eines Zyklus. Auch wurden viele den Aktienmarkt stützende Aktienrückkäufe auf Kredit finanziert. Steigende Zinsen werden daher am Aktienmarkt und auch am Markt der Unternehmensanleihen nicht spurlos vorübergehen.

Stagflation? – Noch ist es zu früh… War zu Jahresbeginn noch „die beste aller Welten“ in Form guter Wirtschaft, tiefer Zinsen und stabiler Inflation Kern der Markterwartungen, so wird zunehmend das Wort Stagflation wieder aus der Schublade geholt. In der Theorie beschreibt dies ein Umfeld höherer Inflationsraten bei gleichzeitig eingebremstem Wirtschaftswachstum.

In der Praxis wäre dies aber für Börsianer keine gute Nachricht. Historisch kamen in solchen Phasen die Gewinnmargen der Unternehmen meist unter Druck mit negativen Effekten für den Aktienmarkt. Lediglich Gold und mit Abstrichen auch Rohstoffe wären Profiteure dieses Umfeldes.

Aber: So rasch springt die symbolische Börsenampel nicht von grün auf rot. Noch ist es zu früh dieses Stagflationsbild als Kernannahme zu definieren. Szenarien im Hinterkopf zu Ende zu denken hilft aber im Falle des Falles einen klaren Kopf zu bewahren.

Noch sind wir in einer Korrekturphase und in einem schwankungsintensiveren Seitwärtstrend. In den vergangenen 20 Jahren hat zum Beispiel der Deutsche Aktienmarkt innerhalb eines Kalenderjahres eine Korrektur von im Schnitt etwa 17 % erlitten – jeweils vom Höchstpunkt bis zum Tiefstpunkt gerechnet. Insofern ist das aktuelle Marktumfeld bis dato normal. Es wird nur von vielen Anlegern als anormal empfunden, weil das Jahr 2017 so geringe Schwankungen zeigte. Dabei war 2017 anormal.

Auch dass aus manchen Technologietiteln wie beispielsweise Facebook, Tesla & Co in Form sinkender Kurse etwas Luft abgelassen wird ist eine wünschenswerte Normalisierung – und nicht Grund für eine komplett neue Gesamtmarkteinschätzung.

Die Plus-Minus-Liste? Pro & Contra abzuwägen ist stets ein guter Ratschlag. So manche Contra-Punkte wurden im eingangs beschriebenen Szenario erläutert. Auch die Tatsache, dass ein Entwöhnungseffekt von einer potenziell geringeren Geldschwemme durch die Notenbanken nicht friktionsfrei verlaufen wird ist offensichtlich, aber nicht neu. Es gibt allerdings auch stimmige Argumente auf der PlusSeite:

- Die Wachstumserwartungen der Weltwirtschaft für 2018 liegen bei 3,8%. Selbst leichte Revisionen würden im historischen Vergleich immer noch solide Zahlen bedeuten. Bemerkenswert ist auch die insgesamt gute Verfassung der Emerging-Markets, zumal viele dieser Länder von einem schwachen Dollar und steigenden Rohstoffpreisen strukturell profitieren.

- Der amerikanische Aktienmarkt ist getrieben durch viele Technologietitel etwas über dem historischen Schnitt bewertet. Der Weltindex ex USA notiert derzeit beim knapp unter 14-fachen eines Jahresgewinns sogar leicht unter dem 20-Jahresschnitt. Echte Überteuerungen sehen anders aus.

- In der Hektik der Konjunkturdiskussionen wird oft auf die Zusammensetzung der Leistung einer Volkswirtschaft vergessen. In den USA etwa stammen fast 70% des Bruttoinlandsproduktes aus dem privaten Konsum. Die Stimmung der Konsumenten ist daher wichtiger als Zölle auf Stahl und Aluminium. Sowohl in den USA als auch in Europa zeigt sich das Konsumentenvertrauen stabil positiv.

- Der jeweils aktuelle Grund für eine Korrekturphase wird immer als DER wichtigste empfunden. Der massive Rückgang der Börsen im Sommer 2015 hatte von Computerprogrammen verstärkte markttechnische Gründe. Der massive Rückgang im Jänner 2016 war mit einer Schwäche der Währung Chinas begründet. Wer redet heute noch davon? Schließen wir daher nicht vorschnell aus, dass wir in zwei Jahren rückwirkend sagen, dass Februar/März 2018 von einem potenziellen Handelskrieg geprägt waren, der letztendlich dann doch nicht stattgefunden hat…

Fazit. Die Lage ist kurzfristig schwer einschätzbar, das Umfeld bleibt wohl auch in den kommenden Wochen kompliziert. Für eine breite Neuaufstellung ist uns die Faktenlage aber noch zu unklar.