Was wurde nicht schon alles über den Home Bias geschrieben? Deutsche Anleger und Anlegerinnen kaufen sich Daimler, wenn Sie aus Baden-Württemberg kommen und BMW, wenn diese in Bayern beheimatet sind – eh klar – aber mittlerweile mitnichten. Gerade jüngere Anleger setzen auf die Technologiewerte aus den USA, so dass unter den meist gehandelten Werten bei größeren Brokern selten mehr als BASF und Allianz an deutschen Aktien unter den Top 10 landen. Deutsche Aktien sind out, sprich, nicht angesagt.

Gerade US-Anleger, die im ersten Halbjahr 2022 deutschen Aktien die Stange gehalten haben, mussten eine gute Konstitution haben. Teilweise lag der DAX um gut 20 Prozent gegenüber dem Jahresbeginn zurück. US-amerikanische Anleger haben zusätzlich noch einen Euro-Verlust gegenüber dem US-Dollar von mehr als zehn Prozent auszuhalten. Macht zusammen einen Wertrückgang von 30 Prozent, bei zyklischen Aktien, wie der Deutschen Post oder Adidas auch deutlich mehr. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um US-amerikanische Vermögensverwalter in Erklärungsnot gegenüber Anlegern zu sehen, wieso an deutschen Aktien trotz des offensichtlichen russischen Angriffes auf die Ukraine festgehalten wurde.

Daher ist von einer breitflächigen Bereinigung von deutschen Aktien in US-Portfolios auszugehen, wahrscheinlich wurden die meisten Verkäufe bereits realisiert.

Und es stimmt ja auch. Das deutsche Geschäftsmodell mit günstiger Energie aus Russland, hochwertige Maschinen und Produkte vorwiegend an die USA und China zu verkaufen, scheint schwerer zu werden. Einerseits der zunehmende Konfrontationskurs mit China in politischen Fragen, andererseits der immer bedeutendere Anteil von Software (Internet of Things) in klassischen deutschen Exportprodukten wie Autos und Maschinen. Durch den Konflikt mit Russland haben sich die eh schon weltmeisterlichen Energiepreise weiter verteuert, so dass mittlerweile ernsthaft die energieintensive Produktion in Deutschland, zum Beispiel in der Chemie, gefährdet ist.

Aber...

Es fällt also nicht leicht eine Lanze für deutsche Aktien zu brechen und dennoch könnte der Zeitpunkt gar nicht so schlecht sein. Die Stimmung und bei vielen Unternehmen auch die Bewertung befindet sich auf einem niedrigen Niveau.

Es spricht viel dafür, dass die hohen Gaspreise getrieben wurden durch „Panikkäufe“ verschiedener europäischer Versorger, sich nicht ganz so stark auswirken werden. Auch wenn im Winter 22/23 eine Gasknappheit in Deutschland vorausgesagt wird, so sind doch verschiedene Silberstreife am Horizont zu erkennen. Die Industrie kann zunehmend Gas durch andere Energieträger oder Rohstoffe ersetzen. Es tun sich perspektivisch alternative Energieträger lang- und kurzfristig auf. Zudem stellt sich die Frage, ob Russland den Totalboykott lange durchhalten will, denn aktuell wird das für Deutschland angedachte Gas, verbrannt. Zudem dürften deutsche Exporteure von dem günstigen Eurokurs profitieren.

Und die Bewertungen sind teils durchaus ansprechend. Covestro wird derzeit mit einer Dividende (auf Basis 2022) von zehn Prozent gehandelt. BASF gibt es zum Buchwert. Nike wird derzeit mit rund 140 Milliarden Euro bewertet und damit fast fünf Mal soviel wie der ewige Konkurrent Adidas mit gerade einmal 30 Milliarden Marktkapitalisierung. Der Vergleich zwischen Tesla und Volkswagen oder gar Mercedes mag hinken und Elon Musk ein müdes Lächeln abverlangen, dennoch ist es ein Hingucker, dass Tesla rund doppelt so viel wert ist, wie Volkswagen und Daimler zusammen. Auch T-Mobile USA, an der die Deutsche Telekom rund 70 Prozent hält, wird mit höheren Bewertungsmultiples gehandelt, als die deutsche Muttergesellschaft.

Zudem sollten viele deutsche Technologien gefragt bleiben. Gerade im nachhaltigen Bereich, zum Beispiel beim Aufbau einer Kreislaufwirtschaft oder der Vermeidung von CO2-Ausstoß bieten deutsche Unternehmen sinnvolle Lösungen.

Und so bleiben deutsche Unternehmen gefragte Übernahmeziele. Im Mittelstand von Private Equity-Gesellschaften, bei den größeren börsennotierten Gesellschaften wurde zuletzt über Interesse an Gerresheimer oder an der Aareal Bank signalisiert. Und was für Private Equity von Interesse ist, sollte es doch auch für den Privatanleger sein, oder? 

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Aus dem Börse Express PDF vom 20.09. hier zum Download

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