Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hatte in einer mit Spannung erwarteten Entscheidung den Alzheimer-Wirkstoff „Aducanumab“ von Biogen zugelassen. Für Alzheimer-Patienten ergibt sich dadurch erstmals seit fast zwei Jahrzehnten wieder eine neue Behandlungsmethode. Allerdings soll eine Jahrestherapie mit dem Medikament 56.000 US-Dollar kosten.

Warum konnte die Zulassung dieses Wirkstoffs eine so große Öffentlichkeitswirkung erzielen? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat vor Kurzem eine neue Prognose zur Entwicklung bei Demenzerkrankungen vorgelegt: 2019 haben weltweit etwa 55 Millionen Menschen mit der Diagnose Demenz gelebt. Bis 2030 dürften etwa 40 Prozent mehr Personen als heute betroffen sein. Man geht davon aus, dass es in 2030 schon etwa 75 Millionen Erkrankte gibt und im Jahr 2050 könnten es über 130 Millionen sein.

Einer der Hauptgründe für die steigenden Zahlen ist, dass die Lebenserwartung in vielen Teilen der Welt dank besserer Lebensbedingungen und medizinischer Versorgung nach wie vor steigt. Damit wächst auch der Anteil der Betagten und Hochbetagten. Mit dem Alter steigt generell das Risiko von Krankheiten, darunter Demenz. Die genaue Ursache von Alzheimer ist noch unklar. Vermutet werden Verschleiß- und Schädigungsprozesse, die sich über die Jahrzehnte summieren. Diese schreiten, abhängig etwa vom Lebensstil, meist unterschiedlich schnell voran.

Alzheimer ist die vorherrschende Demenz-Art.

Von den 50 verschiedenen Arten von Demenz dominiert Alzheimer mit einem Anteil von etwa zwei Dritteln (60 bis 70 Prozent). Kennzeichnend für die Alzheimer-Demenz sind Veränderungen im Gehirn, die durch Ablagerungen von Eiweißen außerhalb und innerhalb der Nervenzellen entstehen. Beides führt dazu, dass die Nervenzellen im Gehirn nicht mehr richtig arbeiten können und schließlich absterben. Alzheimer ist eine zum Tod führende Gehirnerkrankung, die ein langsames Nachlassen des Gedächtnisses und der Denkfähigkeit verursacht. Aufgrund ihrer Krankheit sind die Betroffenen immer weniger in der Lage, sich ihrer Umgebung anzupassen und ihren Alltag bewusst zu gestalten.

Die Entwicklung neuer Alzheimer-Medikamente hat bei Pharmaunternehmen seit vielen Jahren hohe Priorität. Aber trotz intensiver jahrzehntelanger Forschung und immer wieder als „vielversprechend“ vermeldeten Ansätzen gibt es bislang fast keine Therapien, die die häufigsten Demenzformen, vor allem die des Alzheimer-Typs, bei vielen Menschen heilen, stoppen oder auch nur deutlich verlangsamen könnten. Die Alzheimer-Forschung hat die letzten Jahre fast nur Misserfolge gesehen: Etliche Medikamenten-Projekte mussten nach erfolgloser Erprobung mit Patienten eingestellt werden. Eine 2014 publizierte Untersuchung über die von 2002 bis 2012 in klinischen Studien erprobten Medikamente ergab eine Misserfolgsquote von 99,6 Prozent. Und in den letzten Jahren war es bis vor Kurzem nicht anders. Zum Vergleich: Auf anderen medizinischen Gebieten kann man erfahrungsgemäß davon ausgehen, dass zumindest eines von neun Medikamenten, das beim Menschen erprobt wird, später auch eine Zulassung erhält.

Der Zulassung von Aduhelm (auf Basis des Wirkstoffs Aducanumab) ging eine kontrovers geführte Diskussion voraus. Das Medikament wurde in zwei Phase-III-Studien mit rund 3200 Probandinnen und Probanden getestet. Die Ergebnisse waren widersprüchlich. Trotzdem hatte Biogen im Oktober 2020 in Absprache mit der Arzneimittelbehörde FDA einen Zulassungsantrag gestellt. Im Juni 2021 stimmte die FDA dem Antrag in einem beschleunigten Verfahren zu. Die Zulassung ist mit der Auflage verbunden, eine weitere Studie durchzuführen, die den Nutzen von Aduhelm belegen soll. In Europa hat das Medikament dagegen einen Rückschritt erlitten. Am 17. November lehnte ein Gremium der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ein Zulassung ab, im Dezember soll eine detailliertere Stellungnahme folgen.

Bislang gibt es in der medikamentösen Therapie von Alzheimer keine Medikamente, die auf die grundlegenden Mechanismen der Erkrankung einwirken. Die bisherigen Medikamente stimulieren die Hirnleistung oder behandeln Begleiterscheinungen, zum Beispiel eine Depression. Aduhelm setzt dagegen an den für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn an. Sollte sich die Wirksamkeit bestätigen, wäre dies ein immenser Fortschritt. Kein Wunder, dass Erkrankte und deren Angehörige mit dem Medikament große Hoffnungen verbinden. Zudem werden bereits weitere Wirkstoffe gegen Alzheimer klinisch erprobt. Ob und wann ein weiteres Heilmittel erfolgreich sein wird, bleibt im Ungewissen. Dass ein wirksames Alzheimer-Medikament einen finanziellen Erfolg für das entwickelnde Unternehmen bedeuten würde, steht allerdings außer Frage.

Aus dem Börse Express-PDF vom 25. November - hier zum kostenlosen Download

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