FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Christoph Frank wagt den Blick voraus mit einem statistischen Blick zurück. Er erinnert an die Ruhe beim Buy-and-hold, und den Perspektivwechsel für Nicht-Investierte.

Bis Montagmorgen, kurz vor Ablauf des ersten Halbjahres, lag die Rendite des DAX seit Jahresbeginn bei etwa -17 Prozent. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird diese Phase verlustreich enden, voraussichtlich sogar mit einem prozentual zweistelligen Minus. Das Ergebnis aus der ersten Jahreshälfte 2008 von -20,4 Prozenten könnte bei Kursverlusten in den letzten Junitagen sogar noch "übertrumpft" werden. Immerhin: Zu den historisch schlechten Starthalbjahren 1962 (-23,5 Prozent) und 1970 (-25,3 Prozent) wird 2022 vermutlich nicht mehr nahtlos aufschließen können.

Im internationalen Vergleich sieht es ähnlich freudlos aus. Der europäische Sammelindex Euro Stoxx 50 liegt zur Stunde vergleichbar stark unter Wasser, ebenso wie der breit diversifizierte US-amerikanische Leitindex S&P 500. Erheblich stärker gelitten haben technologielastige Aktienindizes, so liegt der Nasdaq Composite seit Jahresbeginn bereits fast 26 im Minus. Je mehr sich Aktionäre in den spekulativen Bereich vorwagten, desto stärker wurden sie tendenziell "rasiert". Beispielsweise verloren der Subindex Nasdaq Internet bis dato fast 40 Prozent und der Renaissance IPO Index, ein Portfolio aus den neuesten US-Börsengängen, über 42 Prozent.

So viel zu den tiefroten Fakten. Doch was können Aktien-Fans nach dem tristen ersten Halbjahr nun für die zweite Halbzeit erwarten? Obwohl wir bei pfp Advisory keine Marktprognosen erstellen, geschweige denn veröffentlichen, wurde ich zuletzt in nahezu jedem Gespräch mit Investoren genau danach gefragt. Selbstverständlich habe auch ich persönlich keine Glaskugel. Allenfalls ein Blick in die Börsenvergangenheit kann bei der Standortbestimmung vielleicht ein bisschen helfen.

Deshalb erneut ein paar Fakten: Seit dem Jahr 1960 brachte der DAX oder sein von der Bundesbank rückberechneter Vorgängerindex nur 20-mal eine negative Rendite im ersten Halbjahr, also in weniger als einem Drittel der Fälle. Daraufhin folgte nur achtmal ein positives Halbjahr, aber zwölfmal ein negatives. Auch diese Quote von 40 zu 60 Prozent hat eindeutig negative Schlagseite, wenn wir sie mit den Durchschnittserträgen und -verteilungen im DAX vergleichen.

In den Fällen, in denen die Verluste im ersten Halbjahr prozentual zweistellig ausfielen, verschlechtert sich die Quote weiter auf 25 zu 75 Prozent. Überdies gab es in diesen Fällen im zweiten Halbjahr niemals mehr als 4 Prozent DAX-Rendite, was etwa dem Durchschnittsertrag aller Halbjahre seit 1960 entspricht. Der geometrische Durchschnitt lag bei etwa -11 Prozent, einem ungewöhnlich schlechten Wert. Rückblickend betrachtet ist das nicht verwunderlich, lagen diese besonders unerfreulichen Halbjahre doch häufig mitten in lang anhaltenden und stabilen Bärenmärkten, beispielsweise während der ersten Rezession der Nachkriegszeit 1966, den Ölkrisen 1973 und 1979, der New-Economy-Krise 2002 und der Finanzkrise 2008. Das macht die Misere leider nicht besser, aber zumindest verständlicher.

Der Blick in die Vergangenheit des DAX kann also nicht wirklich Entwarnung signalisieren. Immerhin lassen sich nach dem Horrorhalbjahr auch einige Indikatoren finden, die im besten Fall auf eine Bodenbildung hindeuten, zumindest aber auf ein lokales Tief, z. B. die momentan unvergleichlich schlechte Stimmung am Markt, oder die Zahl jener Aktien, die an der Wall Street auf neue Jahrestiefs gesunken sind. Fakt ist zudem, dass nach der Talfahrt nicht nur Aktienindizes, sondern auch einige interessante Einzelaktien und Fonds mittlerweile 20 Prozent "günstiger" zu bekommen sind als vor einem halben Jahr.

Wer sich schon lange für ein Unternehmen oder einen speziellen Fonds interessiert, sich bisher aber nicht in den Markt wagte, wird die aktuelle Baisse also möglicherweise mit anderen Augen sehen als bereits investierte Anleger. Langfristig, sehr langfristig dürfte mit Blick auf den historischen DAX-Verlauf die aktuelle (größere) Delle ebenso wieder ausgebügelt werden wie alle Dellen zuvor. Buy-and-hold-Anleger wirft die aktuelle Baisse nicht aus der Bahn, selbst wenn sie temporär einige Schmerzen aushalten müssen.

von Christoph Frank, 27. Juni 2022, © pfp Advisory

Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

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