BÖRSE EXPRESS: Im ersten Fachartikel zu unserer neuen Serie hieß es unter anderem, dass die Gründung einer AG auf Grund der gesetzlichen Rahmenbedingungen deutlich komplexer ist. Nicht zuletzt deshalb ist die Gründung einer AG oftmals erst ab einer bestimmten Unternehmensgröße zu empfehlen. Gilt das immer und überall?

ANNIKA WOLF: Es ist richtig, dass eine AG natürlich deutlich komplexer ist als eine GmbH, schon alleine deswegen, weil die Transparenz-, Qualitäts- und Publizitätsanforderungen wesentlich höher sind. Der Betrieb einer AG erfordert viel mehr Aufwand, der natürlich mehr Geld kostet. Eine AG bietet allerdings auch mehr Möglichkeiten. Bei einer GmbH haben die Gesellschafter das Sagen, bei einer AG ist die Trennung zwischen der operativen Geschäftsführung und den Gesellschaftern - in diesem Fall Aktionäre - deutlich größer. Passt der Geschäftsführer einer GmbH den Gesellschaftern nicht, so wird er abberufen. Bei einer AG ist dies nicht so leicht möglich. Vor allem auf internationaler Ebene wird eine AG positiv gesehen. Das liegt unter anderem an der Corporate Governance (CG), die bei einer AG viel ausgeprägter ist. Weil die AG mehr Möglichkeiten bietet, unter anderem bei der Hinzunahme von Partnern, kann es auch für kleinere oder neue Kapitalgesellschaften überlegenswert sein gleich als AG zu firmieren. Selbst für Start-ups kann die AG eine mögliche Alternative sein. Ein Beispiel ist etwa die Crowdfunding Plattform Conda, die gleich als AG gegründet wurde.

 

Was sind prinzipiell betrachtet die Vorteile und Nachteile der Rechtsform AG für ein Familienunternehmen?

Einer der Vorteile ist sicher das größere Vertrauen, das einer AG entgegengebracht wird - egal ob sich um Vertragspartner, Lieferanten, Kreditgeber oder Investoren handelt. Bei einer AG können sich, durch die bereits angesprochene Trennung zwischen der Geschäftsführung und den Eigentümern, die Verhältnisse nicht so schnell ändern. Bei einer GmbH gibt es diesbezüglich mehr Unsicherheit - siehe das vorher erwähnte Beispiel mit der Geschäftsführung. Vor allem am internationalen Markt ist dieses Vertrauen ein wesentlicher Vorteil. Oftmals sehen sich insbesondere exportorientierte Unternehmen hohen Compliance und Corporate Governance Erwartungen ihrer Vertragspartner ausgesetzt. Mit manchen Unternehmen - speziell in den USA - kommt man nur ins Geschäft, wenn man als AG auftritt.

Was die Nachteile betrifft, muss man klar festhalten, dass die AG natürlich viel aufwändiger und mit höheren Kosten verbunden ist. Sei es für die Abschlussprüfung oder den verpflichtenden Aufsichtsrat dessen Mitglieder im Normalfall nicht kostenlos zur Verfügung stehen. Eine AG muss mindestens drei Aufsichtsräte haben. Außerdem ist es für Gesellschafter (insbesondere Kleinaktionäre) natürlicher schwerer, an Informationen zu kommen, weil eine AG ja alle Aktionäre gleich behandeln muss.

 

Außer man sitzt im Aufsichtsrat ...

Ja, aber bei Unternehmen, die im Prime Markt der Wiener Börse notieren, muss grundsätzlich mindestens die Hälfte der Aufsichtsräte unabhängig sein.

 

Wie sieht es mit den Kosten aus. Mit welchen Kosten muss man bei der Gründung einer AG rechnen?

Da wäre einmal die Stammeinlage von 70.000 Euro, wovon die Hälfte - also 35.000 - eingebracht werden muss. Die Hauptkosten liegen aber - wie bereits erwähnt - sicher in der Erhaltung einer AG. Egal, ob es sich dabei um die Kosten für den Abschlussprüfer oder die Aufsichtsräte, die Einhaltung der CG-Vorschriften, etc. handelt.

Vor allem ein Start-up muss aufpassen, dass es nicht blindlings in eine Kostenfalle läuft. Es ist somit ein großes Maß an Vorausdenken vonnöten, bei dem man die Folgekosten genau im Auge behält.

Im Rahmen unserer Rechtsberatung legen wir deshalb besonders viel Wert darauf, schon im Vorfeld abzuklären, wohin die Reise in welchem Zeitraum gehen soll. Der Gesellschaftsvertrag bildet ja einen Rahmen für das Unternehmen, der auch für zukünftige Szenarien geeignet sein soll. Bei einer 50/50 GmbH ist das Risiko, dass es zu einer Pattsituation kommt, erfahrungsgemäß relativ hoch. Sowohl das potenzielle Ausscheiden als auch die mögliche Hereinnahme von Investoren sollten schon am Anfang bedacht werden. Natürlich kann man sich einen Gesellschaftsvertrag aus dem Internet herunterladen. In diesem Standard-GV sind künftige Szenarien aber nicht abgebildet. Deshalb ist es empfehlenswert, gleich bei der Gründung mehr Zeit in diese Überlegungen zu investieren.

 

Stichwort Umgründung - wie komplex ist die Umwandlung eine GmbH in eine AG?

Dieser Vorgang ist zwar rechtlich für erfahrene Rechtsanwälte keine große Sache, aber für Unternehmen, die sich nicht laufend damit auseinandersetzen, eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Man denke nur daran, dass man eine Umwandlungsbilanz erstellen muss.

 

Gibt es Konstellationen bei denen man die Rechtsform AG ein unbedingtes Muss ist - ich denke da an die Hereinnahme von Beteiligungskapitalgebern (z.B.: Private Equity Partner)?

Investoren - speziell Private Equity-Partner - fühlen sich in einer AG oftmals wohler. Aber auch für die Gründungs-Gesellschafter birgt die AG in diesem Fall Vorteile, da sich der mögliche Einfluss von AG-Gesellschaftern (abhängig von der Beteiligungshöhe) auf die Geschäftsführung in Grenzen hält. Es gibt viele Fälle, wo das von Vorteil ist.

 

Welche gesetzlichen Regelungen sind für eine AG verpflichtend zu beachten?

Einerseits natürlich das Aktiengesetz, das für alle AGs gilt. Für Aktiengesellschaften, die im Prime Market notieren, gelten auch die Regelungen des Börsegesetzes und die darin verpflichtende Prospektpflicht. Für alle börsenotierten AGs gelten darüber hinaus Bestimmungen zu Directors‘ Dealings - also Meldepflichten über den Erwerb bzw. Verkauf von Anteilen durch Aufsichtsräte, Vorstände usw. Auch die Verpflichtung zu ad-hoc Meldungen sind von allen AGs an der Börse verpflichtend einzuhalten. Und das kann mitunter eine knifflige Angelegenheit sein.

 

Österreich gilt - in manchen Bereichen - als Land der Geheimniskrämer. Vor allem, was die Veröffentlichung von Geschäftszahlen betrifft, gelten Familienunternehmen gemeinhin als eher vorsichtig bzw. ablehnend. Muss eine AG, auch wenn sie nicht börsenotiert ist, den kompletten Geschäftsbericht inkl. Bilanz veröffentlichen? Bzw. was muss wo veröffentlicht werden?

Eine AG muss ihre Bilanz im Firmenbuch hinterlegen, womit die Geschäftszahlen ohnehin mehr oder weniger öffentlich sind. Gleiches gilt grundsätzlich aber auch für eine GmbH. Börsenotierte AGs müssen etwas mehr veröffentlichen. So ist etwa der Corporate Governance Kodex für Unternehmen im Prime Market verpflichtend. Der CG-Kodex enthält eine Reihe von Regelungen wie z.B. die Zusammensetzung von Vergütungen, die die Vorstände und Aufsichtsträte erhalten. Der Kodex enthält u.a. eine Reihe von sogenannten "Comply or Explain"-Regeln (C-Regln). Einmal im Jahr müssen die Unternehmen einen CG-Bericht veröffentlichen. Für Prime Market-Mitglieder gibt es außerdem die Prospektpflicht, und das Stammkapital muss bei mindestens einer Million liegen.

 

Welche Voraussetzungen sollte ein Familienunternehmen (Unternehmen) erfüllen, wenn es in Form einer AG existieren will?

Allen Beteiligten muss klar sein, dass für eine AG vollkommen andere Voraussetzungen wichtig sind. Die wichtigste Umstellung ist wohl die Trennung zwischen Unternehmen und Eigentümerschaft. Jeder Gesellschafter muss wissen, dass das Unternehmen dann nicht mehr “seine” Gesellschaft ist, sondern er “nur mehr” Aktionär ist. Ist der Unternehmer dazu nicht bereit, kann es nicht funktionieren. Man muss sich außerdem bewusst sein, dass man viele Dinge nicht mehr beeinflussen kann bzw. die Einflussnahme deutlich eingeschränkt ist. Einen Vorstand kann selbst der Aufsichtsrat nur aus wichtigen Gründen abberufen, anders als in einer GmbH, wo die Gesellschafter das direkte jederzeitige Abberufungsrecht des Geschäftsführers haben. Außerdem haben alle Aktionäre das gleiche Recht auf Information.

 

Gibt es aus Ihrer Sicht noch einen wichtigen Punkt, den Sie unseren Leser/-innen gerne mitgeben würden?

Das Wichtigste ist aus meiner Sicht der Blick in die Zukunft. Man sollte sich schon bei der Unternehmensgründung klar sein, wohin sich das Unternehmen entwickeln soll. Ich glaube, dass es manchmal besser wäre, am Anfang mehr in die Überlegungen über die Ausgestaltung und die Rahmenbedingungen einer Gesellschaft zu investieren, um dafür dann später mögliche, notwendige komplexe Umstrukturierungen zu vermeiden. Die AG ist nicht nur für Unternehmen mit hunderten von Arbeitnehmern relevant, sie kann auch - vor allem - für exportorientierte Unternehmen, die sich auf internationalen Märkten bewegen oder bewegen wollen, von größter Relevanz sein. 

 

 

Zur Person

Annika Wolf ist Partnerin bei PHH Rechtsanwälte und im Bereich Bank- und Finanzrecht tätig. Sie verfügt über jahrelange Erfahrung in den Bereichen Projekt- und Akquisitionsfinanzierung, Darlehen und syndizierte Kredite, Cash-Pooling-Transaktionen, sowie PPP.

Sie hat nationale und internationale Banken, Versicherungen und andere Finanzinstitute im Zusammenhang mit Projektfinanzierung sowie bei grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen sowohl nach österreichischem wie auch liechtensteinischem Gesetz beraten.

Annika Wolf studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien (Dr. iur.) und schloss zusätzlich ein Masterprogramm an der Queen Mary University of London ab (LL.M. Banking and Finance Law). Sie ist Lehrbeauftragte an der Wirtschaftsuniversität Wien für Unternehmensrecht und Corporate Governance.

 

Aus dem Börse Express-PDF vom 31. Juli